Was erwartet mich als Frau an Bord?
Verhaltenstipps von gefahrenen Seefrauen für Berufseinsteiger:innen
Unnerröck an Bord - dat gift Malheur?
Mit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes vom 1. Juli 1958 wurden Frauen in Deutschland erstmalig vor dem Gesetz beruflich, wirtschaftlich und sozial die gleichen Chancen eingeräumt wie Männern. Doch ein seemännischer Aberglaube lautet „Frauen an Bord bringen Unglück“ und jahrhundertealte Vorurteile verschwinden nicht innerhalb weniger Jahrzehnte.
Zwar hat es schon im ausgehenden 19. Jahrhundert Stewardessen gegeben, doch dass Frauen an Bord Führungspositionen einnehmen und nautische oder technische Befähigungszeugnisse erwerben, ist eine Entwicklung, die erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen hat. Frauen an Bord sind inzwischen nicht mehr die absolute Ausnahme: Sie sind in vielen Reedereien erfolgreich in Nautik und Technik und als Kapitäninnen tätig und an deutschen Seefahrtschulen werden so viele junge Frauen wie nie zuvor ausgebildet. Nichtsdestotrotz ist es bislang eher selten, dass auf einem Schiff mehrere weibliche Seeleute gleichzeitig fahren.
Ein Schiff ist ein Symbol für multikulturelle Zusammenarbeit, denn auf engem Raum arbeiten Menschen zusammen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Somit treffen auch unterschiedliche Frauenbilder aufeinander. Typische Herkunftsländer von Seeleuten sind: die Philippinen, Polen und die baltischen Staaten, Russland, Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Myanmar, China, Indien, Sri Lanka, Kiribati und Tuvalu, um nur einige zu nennen.
Dazu kommt, dass viele der Seeleute aus anderen Nationen Arbeitsverträge von bis zu einem Jahr Dauer haben. Sie sind also eine sehr lange Zeit von ihrem heimischen sozialen Umfeld getrennt.
Diese Umstände (die Vorbehalte gegenüber Frauen, was v.a. deren fachliche Kompetenz betrifft, die Minderheitssituation als oftmals einzige Frau an Bord, die sozio-kulturell bedingt verschiedene Frauenbilder, die bei einer multikulturellen Besatzung in einem hierarchischen Gefüge und in fremden Häfen aufeinandertreffen und die spezielle Arbeits- und Lebenssituation an Bord) sollten von Frauen an Bord beachtet werden, denn sie können – wenn sie ignoriert werden - manchmal Situationen auslösen, die unter normalen Umständen an Land nicht zu erwarten wären.
Ein ganz normaler Arbeitsplatz?
Ein Schiff ist ein Mikrokosmos, eine kleine in sich abgeschlossene Welt. Das hat seine Vor- und Nachteile. Unter anderem können, wenn nicht rechtzeitig erkannt und kommuniziert, aus unbedeutenden Vorkommnissen schnell Probleme werden. Und anders als in einem Landbetrieb, in dem die Beschäftigten nach getaner Arbeit nach Hause gehen können, leben und arbeiten die Besatzungsmitglieder an Bord rund um die Uhr mit wenig Rückzugsmöglichkeiten zusammen und sind in vielerlei Hinsicht aufeinander angewiesen.
Im Gegensatz zu dem an Land üblichen steten Wechsel zwischen Arbeitszeit und Freizeit oder freien Tagen besteht der Lebensrhythmus von Seeleuten aus längeren Blöcken. Urlaub und „kumulierte Freizeit“ bieten größere Freiräume, die Zeit an Bord ist dafür sehr viel stärker von der Arbeit geprägt als der Alltag bei Landberufen. Dazu tragen das Wach(Schicht)System und Wochenendarbeit genauso bei wie ein geringes Freizeitangebot und durch kurze Hafenliegezeiten eingeschränkte Möglichkeiten zum Erkunden fremder Länder.
Das Leben und die Arbeit an Bord eines Schiffes waren schon immer durch eine ausgeprägte Hierarchie gekennzeichnet. Das ist bis heute so geblieben. Auszubildende oder Praktikanten stehen in dieser Hierarchie am unteren Ende und müssen sich entsprechend einordnen.
In den meisten handwerklichen, gewerblichen oder industriellen Betrieben stehen speziell geschulte Mitarbeiter den beruflichen Neueinsteigern als Ausbilder zur Seite. An Bord wird üblicherweise die Ausbildung von den Besatzungsmitgliedern neben ihrer eigentlichen Aufgabe übernommen. Besondere Ansprechpartner für Neulinge gibt es meist nicht und oftmals möchte man unschöne Vorkommnisse weder an Bord noch mit jemandem an Land (das wäre der offizielle Beschwerdeweg) besprechen. Vielleicht ist es aber hilfreich, mit anderen Seefrauen darüber zu reden.
Wir als Verband Frauen zur See stehen euch gerne vertraulich zur Seite. Ansprechpartnerin ist Frau Michelle Wunderlin, telefonisch erreichbar unter +41 433 332 105 oder +41 787 409 823. Natürlich könnt ihr euch mit euren Anliegen immer auch per Mail an info@frauenzursee.de wenden.
Verhaltensanker
- Du solltest immer deutlich machen, dass Du aus beruflichem Interesse und aus Freude an der Seefahrt an Bord bist. Um dies zu unterstreichen, solltest Du stets zielgerichtet handeln und Deine Aufgaben nach bestem Wissen und Können erfüllen. Dazu gehört auch, klar zu kommunizieren, wozu Du in der Lage bist und wo Deine (körperlichen) Grenzen sind.
- Wenn Dir bei der Arbeit nichts zugetraut wird, beteilige Dich aktiv und sage deutlich, dass Du das kannst und Du Bescheid sagst, wenn du Hilfe benötigst. Speziell bei Anfängerinnen besteht seitens Deiner Vorgesetzten vielleicht die Angst, dass Du Dich unter ihrer Aufsicht verletzen könntest. Und wenn Du die erste Frau in ihrem Berufsleben bist, können sie wirklich nicht immer einschätzen, was sie Dir zutrauen können. Das gibt sich mit der Zeit.
- Du kannst ruhig auch den Männern helfen, wenn ihnen etwas zu schwer ist. Dann merken sie, dass sie nicht alles alleine stemmen müssen. Manche haben nämlich Angst davor, dass sie mehr tun müssen, wenn Frauen an Bord sind, weil dann niemand mehr für die harten Arbeiten da ist. Aber Muskeln sind ja Trainingssache. Also nicht gleich aufgeben oder sich wegscheuchen lassen, wenn etwas schwer geht. Bei vielen Tätigkeiten hat man nach ein paar Versuchen den "Dreh raus".
- Setze keine Verhaltensweisen ein, die von Deiner Umgebung als „typisch weibliche Tricks“ empfunden werden, um Dir Vorteile gegenüber männlichen Besatzungsmitgliedern zu verschaffen (z.B. weiblicher Charme statt Fleiß oder Kompetenz).
- Du solltest für Dich im Umgang mit Kollegen im beruflichen sowie im privaten Bereich eine klare Linie im Kopf haben, Grenzen festlegen und diese auch konsequent einhalten – selbst wenn es manchmal schwer fallen kann (z.B. gemeinsames Filme gucken lieber in der Messe, oder auf Kammer nur bei geöffneter Tür).
- Es empfiehlt sich, vorsichtig im Umgang mit Alkohol zu sein, auch bzw. gerade dann, wenn die anderen trinken (z.B. wenn das Risiko unerwünscht Kollegen in der Kammer stehen zu haben höher ist, als in einem Brandfall auf Kammer eingeschlossen zu sein, dann lieber die eigene Kammer abschließen).
- Auch wenn es unzeitgemäß erscheint: Vermeide Kleidung, die als provokant gelten kann und beachte die Schamgrenzen anderer Kulturen. Damit sind Deine Kollegen und auch die Arbeiter in fremden Häfen gemeint.
- Ziehe dich arbeitsbezogen und praktisch an, d.h. normales T-Shirt statt enganliegendem Top, kurze Hose statt Hotpants – Du bist zum Lernen und Arbeiten an Bord. Das bedeutet nicht, dass Du in Deiner Freizeit komplett auf modische Kleidung verzichten musst, wenn es Dir wichtig ist.
- Ziehe Dich nicht gemeinsam mit männlichen Kollegen um. Falls keine separate Umkleide vorhanden ist, findet sich in Absprache mit den Vorgesetzten immer ein stiller Ort. Es kann auch eine Möglichkeit sein, unter der Arbeitskleidung zusätzlich Sportkleidung zu tragen.
- Decke Dich vor Reisebeginn mit genügend Tampons und Hygienematerialien für die gesamte Dauer Deines Bordeinsatzes ein. Du kannst nie wissen, ob Du unterwegs Nachschub bekommst.
- Entsorge benutzte Tampons niemals in der Bordtoilette (Verstopfungsgefahr) sondern im Restmüll.
- Wenn Du während Deiner Regelblutung Schmerzmittel benötigst, decke Dich auch damit möglichst im Vorfeld ein. Beachte, dass Du Medikamente evtl. bei der Einklarierung in ausländischen Häfen angeben musst.
- Wenn sich (wie es ja auch an Land im Arbeitsumfeld vorkommt) eine Beziehung entwickelt, beachte, dass dies leicht Neid auslösen kann. Und es wird immer Gerede erzeugen. Durch wechselnde Beziehungen kann es zu Unfrieden an Bord kommen, für den Dir womöglich die Schuld angelastet wird. Aber: Auch Liebe geht an Bord, wenn Du dazu stehst.
- Bedenke, dass Du mit Deinem Verhalten auch die zukünftige Einstellung der Vorgesetzten, Kollegen und der Reederei gegenüber weiblichen Seeleuten beeinflusst. Pauschalurteile aufgrund von Einzelfällen sind zwar nicht fair, aber Realität. Verantwortung als Seefrau für alle Seefrauen zu tragen, ist ein enormer Druck. Dabei solltest Du zwar stark sein, aber nicht verbissen werden. Und du bist nicht allein:
Hast Du Fragen? Nimm Kontakt zu uns auf!
Herausforderungen erkennen und meistern!
Vorbehalte gegenüber Frauen in sogenannten Männerberufen gibt es auch heute noch und Deutsche oder Kollegen aus den europäischen Nachbarländern sind davon nicht ausgenommen. Diese Vorbehalte finden sich im besonderen Arbeits- und Lebensraum Schiff entsprechend wieder. Auch die an Land innerhalb unserer Gesellschaft in Deutschland relativ gleichberechtigte Stellung von Frauen kann an Bord nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Nichtsdestotrotz haben die meisten seefahrenden Frauen während ihrer Bordeinsätze ein sehr positives und kollegiales Miteinander erlebt.
Du wirst in Deinem zukünftigen Beruf vielen Menschen begegnen, die Dir offen und freundlich entgegenkommen und Dich unterstützen. Aber es kann auch Situationen geben, in denen Du als Frau an Bord unfair behandelt wirst. Lass Dich davon nicht entmutigen. Dieser Flyer soll Dir den Einstieg in eine spannende und abwechslungsreiche berufliche Zukunft als Frau an Bord erleichtern und auf die daraus resultierenden Herausforderungen vorbereiten. Die folgenden Tipps können Dir dabei helfen, mit Deinem eigenen Verhalten selbst aktiv zur Vermeidung von Problemen (die von Infragestellen der fachlichen Kompetenz bis hin zu sexueller Belästigung reichen können) beizutragen. Diese Empfehlungen stützen sich auf unsere jahrzehntelangen Erfahrungen als Frauen in der Seefahrt.
Allerdings sind wir zwar alle Seefrauen, aber doch natürlich auch unterschiedliche Persön-lichkeiten. Daher gibt es nicht das eine richtige Verhalten, auch wenn es im Folgenden vielleicht so aussehen mag. Wir raten Dir, immer authentisch aufzutreten und Du selbst zu sein. Versuche nicht, Deine Persönlichkeit und Dein Geschlecht zu verbergen. Das ist unnötig und selbstverständliches Verhalten überzeugt am meisten. Es empfiehlt sich allerdings, anfangs zurückhaltend zu sein, bis Du deine Kollegen richtig einschätzen kannst, denn letztendlich ist Vorsicht besser. Beispiel: Lieber erstmal eine lange Hose tragen, schauen, ob die Männer Dich anstarren und dann ggf. auf eine kurze Hose umsteigen, wenn Du Dich damit wohl fühlst. Es sei gesagt: Auch eine lange Hose schützt nicht vor Sprüchen und ungewollten Angeboten, denn wenn Du die einzige Frau bist, bist Du automatisch die anziehendste Frau. Es ist oft eine Gratwanderung, wie folgende Aussage eines Kapitäns zeigt: Statt Unisex-Duschgel dürfe eine Frau an Bord ruhig Frauenshampoo benutzen, aber sie dürfe auch wiederum nicht zu stark duften, dann wäre sie irgendwie schuld, wenn die Männer sich nicht mehr im Griff hätten.
Für uns ist klar, dass es kein falsches Verhalten als Frau an Bord gibt, welches ein Fehlverhalten Deiner Kollegen Dir gegenüber rechtfertigt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau gilt auf See genauso wie an Land – auch wenn das in der Realität leider noch nicht immer und überall angekommen ist. So haben wir Frauen beispielsweise zwar das Recht, uns in unserer Freizeit an Bord zu kleiden, wie wir möchten, müssen dann aber damit rechnen, dass wir ungewollt angemacht werden und dann auch noch uns aufgrund angeblich zu aufreizender Kleidung die Schuld daran gegeben wird und wir so zusätzlich vom Opfer zum Täter gestempelt werden.
Generell ist immer Dein Bauchgefühl entscheidend, also ab wann Du Dich unwohl fühlst und nicht, wann Deine Kollegen es für gerechtfertigt halten, dass Du dich unwohl fühlst. Der einen sind blöde Sprüche unangenehm, die andere legt ihre Grenze beim Anfassen. Das ist Deine eigene Entscheidung.
Zur Wehr setzen, statt ertragen und aushalten!
Wie Du Dich gegen unfaire Behandlung, Mobbing oder Belästigung zur Wehr setzen kannst:
Suche zunächst Verbündete: arbeite sofern möglich z.B. statt an Deck in der Maschine, wechsle die Wache oder das Schiff. Ein Schiffswechsel ist eine legitime Anfrage, an die wir Frauen nur oft gar nicht denken, aus Angst uns damit zu entblößen oder als inkompatibel dazustehen, während das absolut nicht der Fall ist. Wird man von Vorgesetzten und Kollegen schlecht behandelt sollte Frau die vorhandenen Beschwerdewege nutzen und dies öffentlich machen.
Höre auf Dein Bauchgefühl, beobachte und dokumentiere diejenigen, von denen Du dich falsch behandelt fühlst:
- Wer? Wann? Was? Welche Umstände? Wie viele sind es? In welchen Situationen? Wie häufig ist es?
- Andere Anwesende? Wie haben sie reagiert? Eigene Reaktion und eigene Situation (Hosenlänge...)
- Wie unangenehm ist es?
Wenn es geht, sprich die Person(en) an und frage nach, warum Du z.B. etwas nie darfst oder immer ein bestimmter Spruch kommt. Versuche, im Kontakt mit den Tätern erstmal ruhig und sachlich zu bleiben. Manche wollen auch "nur testen", was man aushält. Das ist zwar nicht schön, geht aber vorbei. Sage trotzdem definitiv und von Anfang an deutlich, wo Schluss ist. Das verschafft Respekt und niemand kann später behaupten, dass Du plötzlich zickig geworden bist, obwohl Du anfangs kein Problem mit etwas hattest. Wie dickhäutig Du sein möchtest, wieviel rauen Ton und Mannsweib Du an den Tag legen möchtest, ist eine Frage Deines eigenen Stils und wie die Crew reagiert. Da ist wieder Dein Bauchgefühl gefragt und wir empfehlen Dir, Dir selbst treu zu bleiben.
Sprich im Zweifelsfall mit dem Vorgesetzten des Täters oder mit dem Kapitän. Ist er der Täter oder ignoriert Dich, dann wende Dich an die Reederei. Überleg Dir vorher genau, an wen. Wer ist offiziell zuständig für Personalprobleme? Mit wem an Land kannst Du am besten reden? Besprich das ganze am besten zuvor mit Deiner Familie oder mit Freunden, notfalls per Mail. Das kann helfen, sich nicht so allein zu fühlen und Du bekommt Feedback, wie Du das Ganze am besten rüberbringen kannst, oder ob Du lieber noch ein paar Tage so durchhalten willst. Für die Schwelle, ab der Du Dich beschwerst, gibt es keine Faustregel. Das muss jeder selbst entscheiden. Dabei kann Dir das Gespräch mit Außenstehenden und Deine Notizen (s.o.) helfen.
Auch über sexuelle Belästigung muss offen gesprochen werden. Das ist keine einfache Aufgabe, aber aus persönlicher Erfahrung wissen wir, dass sobald man sich austauscht und Probleme anspricht, es zu Veränderungen kommen kann. Schweigen kann langfristig zu mehr Unannehmlichkeiten führen.