35. Workshop in Stralsund

35. Workshop vom 15.-17.11.2019

Freitag, 15.11.

Wie üblich reisten wir im Laufe des Nachmittags an. Nach einem kurzen Abendessen in der Jugendherberge in Stralsund-Devin fuhren wir in die Stralsunder Innenstadt zur Schiffer-Compagnie, wo wir im Ratssaal zu einem Glas Sekt einen Vortrag über ihre Historie bekamen, gehalten vom Äldermann Horst Amelang. 
Die im Jahre 1488 gegründete Vereinigung diente dazu, den Interessen der Schiffer und Reeder mehr Gewicht zu geben, so z.B. als Vertretung bei den Hanse-Tagen, kümmerte sich um die Verteilung der Ladung, Höhe der Frachtraten, Instandhaltung der Hafenanlagen und Fahrwasser, etc. 
Im Laufe der Jahrhunderte kamen immer neue Aufgaben dazu. So wurde z.B. das Seegericht im Gebäude der Schiffer-Compagnie abgehalten, es wurden Wohnungen in der Schiffer-Compagnie vermietet und es wurde eine Witwenkasse eingeführt. 
Geführt wird die Schiffer-Compagnie von einem gewählten Äldermann und seinen Vertretern. 
Heute existiert die Schiffer-Compagnie weiterhin als „Altrechtliche Vereinigung“ in dem sehr schönen historischen Gebäude. Sie hat jedoch ihre historischen Aufgaben weitestgehend verloren und dient nun hauptsächlich der Traditionspflege. 
Auf uns wirkte alles nach einem ziemlich „verstaubten Altherrenverein“, der ein wenig den Anschluss an die moderne Zeit verschlafen hat. Einen großen Anteil hatte daran sicherlich auch der Äldermann, der als Dozent sehr ungeübt und zudem auch nur sehr schwer zu verstehen gewesen war. 

Zurück in der Jugendherberge trafen wir uns im Aufenthaltsraum zu einer Vorstellungsrunde. Neben vielen bekannten Gesichtern stellten sich auch zwei neue Mitglieder vor. 

Danach berichtete eine unserer Seefrauen von ihrem letzten Einsatz diesen Oktober als Kapitänin auf der „Alan Kurdi“: 
Das Schiff, die ehemalige „Prof. Albrecht Penck“ fährt für die Organisation „Sea Eye“ als Rettungsschiff im Mittelmeer. Von ihrer Basis in Spanien startet sie für jeweils einmonatige Missionen in das Seegebiet zwischen Italien und Libyen. Nach bitteren Erfahrungen mit den Vorgänger-Schiffen, die als Yacht zugelassen waren und beschlagnahmt wurden, fährt die „Alan Kurdi“ nun ganz offiziell als Frachtschiff unter deutscher Flagge mit einer bezahlten Besatzung aus acht Berufs-Seeleuten. Dies gibt ihr wesentlich mehr Rechtssicherheit und sichert ihr auch den Rückhalt durch Deutschland als Flaggenstaat. 
Am 26.10.2019 erreichte die „Alan Kurdi“ ein Notruf durch das Überwachungsflugzeug „Moonbird“ der Organisation „Sea Watch“ und über Alarm-Phone: Ein vollbesetztes Schlauchboot mit 90 Afrikanern an Bord und defektem Außenborder treibt in internationalen Gewässern jedoch innerhalb der Libyschen SAR-Zone. Die „Alan Kurdi“ fährt sofort zur Hilfe, bleibt dabei permanent in Kontakt mit MRCC Rome, der Rettungsleitstelle für das gesamte Mittelmeer. Während der Rettungsmaßnahmen werden sie massiv durch die Libysche Küstenwache behindert und es werden sogar Schüsse in die Luft abgegeben. Nachdem alle Personen an Bord genommen sind, weist MRCC Rome Tripolis als angeblich sicheren Anlandungshafen zu. Da die Libyer jedoch während der Rettungsmaßnahmen auf die „Alan Kurdi“ geschossen hatten und sich Libyen zudem im Bürgerkriegszustand befindet und dort Flüchtlinge systematisch inhaftiert, gefoltert und z.T. sogar versklavt werden, lehnt die Kapitänin Tripolis als Hafen ab. Daraufhin beginnt eine zähe Warte- und Verhandlungszeit während derer zwei der Schiffbrüchigen als medizinische Notfälle bereits von Bord evakuiert werden müssen.
Die Kapitänin berichtet weiterhin über die schwierige Situation an Bord mit dieser großen Anzahl von z.T. unberechenbaren und traumatisierten Personen. Ganz abgesehen von der hygienischen Situation und der Schwierigkeit alle mit Nahrung, trockener Kleidung und einem Schlafplatz zu versorgen.
Als sich das Wetter verschlechtert, läuft die „Alan Kurdi“ am 1. November in italienische Gewässer ein, um unter der Küste von Sizilien Schutz zu suchen. Mit dem Gewicht von 90 Personen an Deck und fast leeren Wassertanks ist die Stabilität des nur 38m langen Schiffes nicht mehr gewährleistet. Dies hatte auch den Vorteil, dass sich das Schiff nun nicht nur in italienischen Gewässern sondern auch in der italienischen SAR-Zone befand. Vor Lampedusa ist die Lage nicht so eindeutig. Da die Insel zwar zu Italien, die Gewässer rundherum aber zur maltesischen SAR-Zone gehören, streiten sich dort beide Staaten permanent um ihre Zuständigkeit. 
In der Zwischenzeit waren Verhandlungen von Horst Seehofer erfolgreich, denen zufolge die Geretteten von verschiedenen Europäischen Ländern aufgenommen werden sollen. Die Italiener weisen das 2 Tagereisen entfernte Tarent als Anlandungshafen zu. Nach insgesamt 9 Tagen können die Afrikaner von Bord.
Eine wirkliche Chance auf Asyl werden jedoch nur die wenigsten von ihnen bekommen, nämlich diejenigen, die vor Boko Haram aus Nigeria geflohen sind.
Erstaunlich ist auch die Erkenntnis, dass gar nicht alle der Afrikaner nach Europa wollten. Viele wollten einfach nur weg aus Libyen, wo sie vor Jahren als Gastarbeiter gelandet waren, ihnen dann jedoch im Bürgerkrieg ihre Papiere abgenommen worden sind und sie somit keinen legalen Weg mehr zur Heimreise hatten.

Samstag, 16.11. 

Nach dem Frühstück fuhren wir zum Nautineum auf dem Kleinen Dänholm, einer Insel im Strelasund. Das Nautineum gehört zum Deutschen Meeresmuseum und beschäftigt sich mit den Themen Unterwasserarchäologie, Meeresforschung und Fischerei. Dort bekamen wir von Dr. Thomas Förster einen sehr interessanten und ausführlichen Vortrag über Unterwasserarchäologie an den Wracks rund um Rügen und über seine Unterwasser-Archäologie- Reisen in Asien. Angefangen von den Untergangsursachen der Schiffe (Kriege, Wetter, technisches Versagen, etc.) über historische Zusammenhänge, Ladung der Schiffe, die oft schwierige Identifizierung und zeitliche Einordnung der Schiffe anhand von Ausrüstungsgegenständen, bis hin zu der Beobachtung und Dokumentation von neuen Wracks. Danach führte uns Herr Förster noch über das Außengelände und durch die Ausstellungshallen mit historischer Meeresforschungstechnik und Fischerbooten. 

Nach einem Mittagsimbiss im Fritz-Braugasthaus auf der Kron-Lastadie direkt am Hafen von Stralsund ging es weiter mit einer Führung durch die historische Altstadt. 

Unser sehr kompetenter Stadtführer erzählte uns viel über die historischen Begebenheiten, angefangen von der Gründung als Slawensiedlung im 9. Jahrhundert, das Erlangen der Stadtrechte im Jahre 1234, die Hansezeit, die Reformationszeit, die Zeit des 30jährigen Krieges, die Zugehörigkeit zu Schweden im 17. Und 18. Jahrhundert, danach die Besetzung durch die Franzosen unter Napoleon, schließlich nach den Befreiungskriegen die preußische Zeit, die Entwicklung des Hafens, die alte Stadtfestung und noch vieles vieles mehr. Leider war es an diesem Nachmittag fürchterlich kalt und windig und unser straffer Zeitplan begrenzte schließlich den Stadtrundgang. 

Zum Dunkelwerden trafen wir wieder in der Jugendherberge ein, wo wir zu Kaffee und Kuchen, Verbandsangelegenheiten besprachen. Da wir uns nach dem bisherigen recht straffen Programmablauf alle nach etwas mehr Zeit zum Durchschnaufen und zusammensitzen wünschten, verzichteten wir kurzentschlossen auf das Abendessen im Restaurant und bestellte uns stattdessen Pizza in die Jugendherberge, wo wir noch bis spät in den Abend gemütlich bei anregenden Gesprächen und zum Erfahrungsaustausch beisammen saßen. Und wir stellten wieder einmal fest, dass dies mit das Wichtigste an unseren Workshops darstellt. 

Sonntag, 17.11.

Zum Ausklang unseres diesjährigen Herbst-Workshops besichtigten wir noch die Bark Gorch Fock 1 im Hafen von Stralsund. Das ehemalige Schulschiff der Marine wurde 1933 bei Blohm & Voss in Hamburg gebaut und war bis 1945 für Deutschland im Einsatz. Nachdem sie zu Kriegsende 1945 im Strelasund versenkt wurde ging sie – wieder gehoben – als Reparationsleistung an die UdSSR und war zuletzt bis 2003 unter ukrainischer Flagge als Schulschiff unterwegs. Seit 2003 liegt sie wieder in ihrem alten Heimathafen Stralsund, offen zur Besichtigung, für Hochzeiten etc. Seitdem wird Geld für die Renovierung gesammelt mit dem Ziel das Schiff wieder seeklar zu bekommen, aber das ist wohl noch in sehr weiter Ferne. 2005 waren wir bereits schon einmal im Rahmen eines Workshops auf der Gorch Fock 1 und für diejenigen unter uns, die damals bereits dabei waren, war es interessant zu sehen, was sich seitdem an Bord getan hat. 

Alles in allem ein sehr gelungener und intensiver Workshop!

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