1. Treffen des Arbeitskreises "Frauen in der Seefahrt"
14.01.2000
Über die Sozialgeschichte von Frauen auf See ist bisher noch wenig geforscht worden. Über den Anteil von Frauen an der Schifffahrt im 19. Jahrhundert ist nur wenig bekannt und auch über Frauen auf Schiffen unserer Zeit gibt es erhebliche Lücken in der Dokumentation. Die Geschichte der Frauen in der Seeschifffahrt wird in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht von ihnen selbst geschrieben wird. Bisher kommen Frauen in der Geschichtsschreibung der europäischen Schifffahrt kaum vor. Die Archive zur deutschen Schifffahrtsgeschichte enthalten über die Beschäftigung von Frauen in der Schifffahrt nur wenig aussagekräftiges Material.
Ob Frauen als Familienmitglieder auf Küstenschiffen oder Großseglern des 19. Jahrhunderts mitgearbeitet haben und ob sie überhaupt mitgereist sind, ist aus den offiziellen Seeamtsarchivalien nicht zu entnehmen. Nicht einmal die ersten Stewardessen, die in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts auf Passagierschiffen anheuerten, sind auf den ersten Blick in den Mannschaftslisten der Seeämter auszumachen. Da man ihnen offenbar keine Seefahrtsbücher ausstellte, tauchen sie nur in solchen Listen auf, deren Eintragungen nicht auf den Angaben der Seefahrtsbücher beruhen. Umgekehrt erhielten einige Jahrzehnte später Kapitänsfrauen, die ihre Ehemänner auf Seereisen begleiteten, ein Seefahrtsbuch ausgestellt, obwohl sie gar nicht an Bord arbeiteten. Aus der Küstenschifffahrt berichten Zeitzeugen, dass Schiffer seit Mitte der 30er Jahre ihre daheim waltenden Ehefrauen offiziell als zusätzliche Besatzungsmitglieder aufführten, obwohl die gar nicht an Bord waren. Diese Schummelei bot ihnen die Möglichkeit, auch unterbesetzte Schiffe in Fahrt zu halten und damit halbwegs konkurrenzfähig zu bleiben. Nähme man die Befunde der Archive für bare Münze, so ergäbe sich für das 20. Jahrhundert ein verzerrtes, ja ein völlig falsches Bild. Man ist also auf die Berichte und Aussagen von Zeitzeugen angewiesen.
Die Sammlung authentischer Aufzeichnungen von Frauen in der Schifffahrt des 19. Jahrhunderts am Deutschen Schifffahrtsmuseum umfasst bisher hauptsächlich Berichte von Frauen, die als Ehefrauen von Kapitänen und Schiffern ihre Männer auf Reisen begleitet haben sowie Bordberichte von Passagierinnen.
Für das 20. Jahrhundert (bis zum Zweiten Weltkrieg) gibt es eine Reihe von Berichten von Frauen, die in der Seeschifffahrt beschäftigt waren, vor allem aus der Passagierschifffahrt.
Über Frauen in der Seeschifffahrt nach 1945 hat die Historikerin Dr. Christine Keitsch aus Flensburg in den vergangenen Jahren geforscht und viele Zeitzeuginnen befragt. Die Ergebnisse wurden in einer Ausstellung mit Katalog im Schifffahrtsmuseum Flensburg vorgestellt. Sie hat auch ein Netzwerk seefahrender Frauen organisiert, das seit zwei Jahren ein Kontakt- und Diskussionsforum für Seefrauen ist und seit Dezember 1998 als eingetragener Verein unter der Regie von Frau Keitsch besteht.
Der Arbeitskreis "Frauen in der Seefahrt" innerhalb des Forschungsprojekts "Frauen an Bord und in den Häfen in der Schifffahrtsgeschichte" möchte ein Archiv aufbauen, in dem Dokumente und Aufzeichnungen seefahrender Frauen gesammelt werden. Es soll dazu dienen, die Berufsbilder, in denen Frauen auf See gearbeitet haben, möglichst detailliert vorzustellen und dabei herauszuarbeiten, was sich im Verlauf der Jahre geändert hat. Insbesondere interessiert uns, was genau den Unterschied ausmacht, ob der Beruf von einem Mann oder einer Frau ausgeübt wird. Die von den Frauen erstellten Aufzeichnungen oder Gesprächsprotokolle wandern in das Archiv des Arbeitskreises, das nicht nur vom Arbeitskreis selbst, sondern auch von anderen Institutionen benutzt werden kann. Allerdings müssen Frauen, deren Materialien verwendet werden, jede:r Benutzer:in ihre Zustimmung erteilen.
Zu diesem 1. Treffen des AK Frauen in der Seefahrt kommen 15 Seefrauen im Rostocker Schifffahrtsmuseum zusammen: acht ehemalige Seefrauen von der Hochseefischereiflotte aus der DDR gefahren u.a. als Produktionsmeisterinnen und -leiterinnen, eine ehemalige Schiffsärztin, eine ehemalige Schiffskrankenschwester, zwei frühere Stewardessen, zwei Funkerinnen, eine Frau mit dem nautischen Patent AM, eine ehemalige Reiseleiterin der Passagierfahrt sowie eine Seemannsfrau. In einer Vorstellungsrunde, die nahezu zwei Stunden in Anspruch nimmt, weil es so viele Nachfragen gibt und gleich angeregte Diskussionen zustande kommen, ist u.a. zu erfahren, dass die Frauen über ihre Seefahrtszeit viel Brief- und Bildmaterial aufbewahrt haben oder sogar ein Bordtagebuch führten.
Das Treffen des AK Frauen in der Seefahrt wird neben dem gegenseitigen Kennenlernen und einem regen Austausch dazu genutzt, über beabsichtigte und mögliche Ziele des AK sowie über das weitere Vorgehen zu diskutieren.