24. Workshop in der Schweiz

27.-29.04.2012

Freitag, 27.04.

Wir treffen uns gegen Abend in Winterthur. Da wir uns teils noch gar nicht kennen und teils seit vielen Jahren nicht gesehen haben, gibt es genügend Gesprächsstoff, um den Abend/die Nacht zu füllen. Dazu stärken wir uns mit einem echten Meter-Brot, unterschiedlich belegt mit Wurst, Schinken und Käse.

Diskutiert werden folgende den Verband bzw. die Arbeitsmarktsituation betreffende Themen:

Manila Konvention

Das Manila Abkommen trat am 01.01.2012 in Kraft, die nationalen Änderungen wurden aber bisher unzureichend kommuniziert. Ähnlich wie beim Übergang von STCW 78 auf STCW 95 sind unsere ‚Alt-Patente‘ nur noch begrenzt gültig, nämlich bis maximal 31.12.2016. Neu hinzu kommen die Nachweise ‚ECDIS‘ und ‚Sicherheit und Gefahrenabwehr‘ (ob und in welcher Beziehung dies zum ‚SSO‘ steht, habe ich noch nicht herausfinden können.) Wie schon beim ‚Medical Refresher‘ sind nun alle 5 Jahre ebenfalls zu wiederholen die Kurse Rettungsbootdienst, Fortschrittliche Brandbekämpfung, Sicherheit und Gefahrenabwehr. Ab 01.07.2013 dürfen alle Fach- und Hochschulen Lehrinhalte nur noch nach STCW 2010 vermitteln. Für küstennahe internationale Fahrt wird ein Patent bis 500 BZ eingeführt (vergl. AN). Näheres siehe: BSH.de (Manila, Kurse).

EU-Flagge

Dass die Personalabteilungen der Reedereien und Crewing-Agenturen sich zumindest den Seeleuten gegenüber bezüglich STCW 2010 unwissend geben, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass diese für die Unternehmen in kürzester Frist uninteressant werden. Aufgrund der EU-Forderung, zur Duldung des maritimen Bündnisses zwischen Reedern und Bundesregierung bis Ende 2012 60% der deutschen Flotte unter EU-Flagge zu bringen (d.h. nicht die blaue, sondern die irgendeines EU-Landes), steht uns eine Umflaggungswelle bevor. Flaggen der Wahl sind Malta, Gibraltar, Luxemburg, da hier weder deutsche noch überhaupt europäische Seeleute gefahren, noch Lohnnebenkosten gezahlt werden müssen. Für die Küstenfahrt in Verbindung mit einem Maschinenpatent und fürs Offshore-Geschäft mit Spezialausbildung wie DP (Dynamic Positioning) werden die Jobmöglichkeiten positiv beurteilt, während die Prognose für landseitige Fertigungsbetriebe in Hochlohnländern eine mittelfristige Verlagerung nach China ist.

Piraterie

Erste Erfahrungen mit bewaffneten Sicherheitskräften an Bord in der High-Risk-Area im Roten Meer, Golf von Aden und Indischen Ozean zeigen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Auswahl der Sicherheitsfirma seitens der Reederei und der Kontrolle und Reglementierung ihres Einsatzes. Sicherheit und Gefahrenabwehr entwickeln sich zu einer eigenen Industrie, Sicherheitsfirmen schießen wie Pilze aus dem Boden, maximieren ihren Gewinn, indem sie über Zeitungsannoncen Billigarbeitskräfte aus Osteuropa und Asien (z.B. Ukraine, Indien, Sri Lanka) anwerben. Das Team, das an Bord kommt, besteht dann im Zweifelsfall aus einem sogenannten Combat Soldier (ausgebildet, kampferfahren) und drei Novizen (Schießtraining an Bord, taktisch unerfahren), die sich nicht einmal untereinander sprachlich verstehen, geschweige denn mit der Schiffsleitung verständigen können. Dies alles macht die sowieso schon unwirklich erscheinende Situation, aus einem friedlichen Handelsschiff einen Hochsicherheitstrakt mit Nato-Draht und Maschinengewehren zu machen, noch
schwieriger zu ertragen.

Medien

Wir stellen ein reges Medieninteresse an Seefrauen fest, das wir uns nicht recht erklären können. Meist handelt es sich um Anfragen diverser Fernsehsender, die mal eben so eine Frau auf ihrem Schiff begleiten wollen. Besser würde uns Interesse an wirklich brennenden Themen wie z. B. den oben genannten (Ausflaggung, Piraterie) gefallen, bei denen wir eine Lobby gebrauchen könnten.

Samstag 28.04.

Nach dem Frühstück bekommen wir Besuch von: Herrn Pfaffhauser vom Bürometro (eine Schweizer Personalagentur für den Krezfahhrtbereich) aus Glattbrug und von Kapitän Stefan Sip. Da wir ein kleines Grüppchen sind, setzen sich die beiden Herren in die Runde und jeder berichtet über seine Erfahrungen. Die Themen knüpfen an den Vorabend an. So sind wir uns darüber einig, dass es wichtig ist, dass der Kapitän immer die höchste Befehlsgewalt an Bord hat. Dies muss auch für die Sicherheitsleute gelten, die in High-Risk-Areas immer öfter an Bord von Handelsschiffen mitfahren. Auch diese Leute müssen befolgen, was der Kapitän anordnet.

Herr Pfaffhauser erzählt, wie schwer es ist, gutes Personal aus der Schweiz zu vermitteln, da Personal aus Osteuropa und Sri Lanka bevorzugt wird. Allgemein wird die Joblage für die deutschen Seeleute beklagt. Wir sind etwas ratlos. Die Qualität und die Fachkompetenz der Seeleute werden nicht mehr sehr hoch geschätzt. Preiswert und anspruchslos soll der moderne Seemann sein. Wo dies auf den Weltmeeren hinführen mag? Oder ist es nur eine Modeerscheinung und schon bald wird wieder nach guten deutschen Fachkräften an Bord geschrien? Nur die Zukunft kann uns dies offenbaren. Herr Pfaffhauser sagt, dass er nur gute Leute vermittelt, die unbedingt an Bord eines Schiffes arbeiten wollen.

Auch beim Verband Frauen zur See melden sich vermehrt Studienabgänger/innen, die keinen Job an Bord eines Schiffes finden, um ihr Patent auszufahren. Dafür bekommt man in den Hafenstädten wie Hamburg und Bremen mit abgeschlossenem Nautik-Studium sofort einen Landjob.

Bei den Seefrauen macht sich eine Veränderung in Richtung Emanzipation bemerkbar. Für Frauen, die vor 30 Jahren zur See fahren wollten (Ausnahmen nicht berücksichtigt), war klar, dass sie den Kinderwunsch abhaken mussten. Wohingegen z.B. die beiden Gastgeberinnen sich das Recht heraus nehmen, zur See zu fahren und Kinder zu haben.

Nach einem bescheidenen Mittagsmahl brechen alle zur Stadtführung über Weibspersonen in Winterthur auf. Wir hören von starken weiblichen Persönlichkeiten, die es in Winterthur gab:

Anna Katharina Neuffer heiratete 1805 Jakob Sulzer. Die beiden hatten 8 Kinder. Zwei ihrer Söhne gründeten die Firma Gebrüder Sulzer. Das Motto von Anna Katharina Sulzer-Neuffer war, wer viel arbeitet soll auch gut Essen und so bekochte sie die Angestellten ihrer Söhne in ihrer Wohnung. Bis ins hohe Alter und trotz Gicht wollte sie immer informiert sein über das Geschäft ihrer Söhne. So wurden noch kurz vor ihrem Tode die Vorstandssitzungen in ihrem Schlafzimmer abgehalten.

Eine andere spannende Geschichte ist die der Elsbetha Bach. Zusammen mit ihrem Geliebten vergiftete sie ihren Mann. Die beiden flohen nach Winterthur, wo man ihnen auf die Schliche kam. Auch unter Folter gestand Elsbetha Bach den Mord an ihren Mann nicht, sondern schob alles ihrem Geliebten in die Schuhe, der dann für die Tat gehängt wurde. Die Wohlhabende Frau Bach sollte sich zu Lebzeiten um die Stadtkirche kümmern. Dies tat sie vorbildlich, so dass sie nach ihrem Tod auch dort begraben wurde.

Barbara Graf hingegen kam nicht so glimpflich davon. Sie wurde 1669 hingerichtet. Sie hatte ein uneheliches Kind und war nicht im Stande den Vater zu nennen. Dies erweckte den Verdacht, dass sie eine Hure sei, worauf für Frauen die Todesstrafe stand. Nach ihrer Hinrichtung stürzte die ganze Familie in Schulden und versank in Armut.

Weiterhin hören wir von der Frau eines Wirts, die sich im 19. Jahrhundert von ihrem Mann scheiden ließ, was damals als Skandal galt. Der Wirt war selbst sein bester Kunde gewesen und bevor alles den Bach runter ging, riss seine Frau die Zügel an sich und brachte das Geschäft wieder auf einen besseren Kurs. Verwunderlich ist nur, dass die Wirtin zwei Jahre später wieder heiratete. Allerdings lässt sich daraus schließen, dass es eben damals schwer war als unverheiratete Frau eine Wirtschaft zu führen. Mit dem zweiten Mann führte sie das Lokal noch lange und erfolgreich.

Am Nachmittag wird es richtig heiß in den schmalen Gassen von Winterthur, trotzdem lässt die kleine Gruppe von starken Seefrauen einen Fototermin über sich ergehen.

Danach geht’s endlich zum Schlossberg, wo man sich mit Blick über die ganze Stadt ein erfrischendes Getränk gönnen kann.

Am Abend gibt es ein gemütliches Zusammensitzen und Grillen.

Sonntag 29.04.

Morgens fuhren wir mit zwei Autos los Richtung Basel, Dreiländereck (Frankreich, Deutschland, Schweiz). Dort an der Pier lag dann auch schon der nächste Programmpunkt, nämlich der Besuch der Viking Sun, einem Flusskreuzfahrtschiff. Die Viking Sun ist 131,8 m lang, 11,4 m breit, hat einen Tiefgang von 1,7 m und eine Höchstgeschwindigkeit von 22 km/h und ist nur für den Rhein zugelassen. Das Schiff hat Platz für 198 Passagiere, die hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum kommen, vor allem aus Amerika, England, Australien und Kanada. Dazu kommen insgesamt 45 Personen Besatzung, davon 1 Kapitän, 2 nautische Schiffsführer, 1 Bootsmann, 2 Matrosen, 1 Maschinisten und das übrige Personal Küche, Zimmermädchen, Manager etc.

Als erstes übernahm Claudia die Führung und zeigte und das Sonnendeck und dann noch die Bibliothek und wir konnten in die Kabinen linsen. Anschließend trafen wir den Hotelmanager und er führte uns durch den Speisesaal, dann durch die hufeisenförmig angelegte Küche. Anschließend zeigte er uns noch die Lounge und dann ging es wieder aufs Sonnendeck, wo wir den Bootsmann mit nautischen Fragen löcherten.

Zum Schluss fuhren wir mit den Autos zum Seemannskeller wo wir noch etwas aßen und tranken. Hier endete der Schweiz-Workshop.

 

Flusskreuzfahrtschiff Viking Sun

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