Seefahrt - Erfahrungen und Einblicke (2002)

Letzten August war es wieder einmal soweit. Ich sollte in New York einsteigen. New York, New York...

Auf meiner letzten Reise waren wir diese faszinierende Stadt auch angelaufen, doch außer den Eindrücken von Manhattan und der Freiheitsstatue im strahlenden Sonnenschein beim Einlaufen ist mir nicht viel geblieben. Denn damals mussten wir unseren Turbolader mit einem kurz zuvor angeforderten Team von ABB gründlich zerlegen. Eine Arbeit, die wirklich nicht zur Bordroutine gehört. Der Luftfilter musste abgenommen werden. Da die Teile nicht gerade leicht sind und der Maschinenraum-Kran nicht an dieser Stelle positioniert werden konnte, mussten in schwindelnder Höhe an dafür geeigneten Trägern Kettenzüge angebracht werden, die auch schon ein erhebliches Eigengewicht haben, um die sperrigen Bauteile auf dem engen Platz zu verstauen. Beim Zerlegen stellte sich heraus, dass der Läufer mit den Turbinenschaufeln und dem Verdichterrad an Land gegeben werden musste, um generalüberholt, gereinigt und gewuchtet zu werden. Wir hatten mit unserer Arbeit gleich nach dem Einlaufen angefangen und am nächsten Morgen gegen 0500 Uhr nach einer durchgearbeiteten Nacht hatten wir das Teil endlich zwischen den Hilfsdieseln hindurch zur Ausrüstungsluke transportiert. Am Abend kam der Läufer dann wieder zurück an Bord. Also konnte erst mal eine Mütze Schlaf genommen werden. Die nächste Nacht verlief ähnlich, nur dass dieses Mal alles etwas routinierter ablief, denn schließlich wussten wir jetzt, worauf es ankam. New York war dadurch ganz in den Hintergrund getreten und wir waren froh, dass nach dem Auslaufen alles funktionierte.

Nun aber zurück zum letzten August. Jede:r weiß, wie schwierig es ist, an Land zu kommen, wenn man als SBO / II. Ing. auf einem Containerschiff einsteigt und für die Hauptmaschine verantwortlich ist. Die meisten Arbeiten an der Hauptmaschine können nur durchgeführt werden, wenn die Hauptmaschine nicht in Betrieb ist, und das ist nun mal nur in den Häfen der Fall. Deshalb hatte ich meine Reederei vorab gefragt, ob es nicht möglich sei, dass ich schon ein paar Tage früher fliege und mir auf eigene Kosten eine Unterkunft suche. Ich hatte da schon von einer sauberen und vor allem einer sehr preiswerten Lösung mitten in Manhattan gehört. Doch dieses Haus dann schließlich und endlich zu finden, war gar nicht so einfach. Es handelt sich um das International House in der 13. Straße. Hier kosten Übernachtungen für Seeleute nur die Hälfte des regulären Preises. Ich muss sagen, ich habe diese Tage in New York genossen, den Blick vom Empire State Building, den Besuch im Broadway Musical AIDA, die langen Spaziergänge durch Manhattan. Für eine kurze Stippvisite während des Landgangs wäre das Angebot viel zu groß gewesen. Natürlich führte mich mein Weg auch zu Ground Zero. Außer einem riesigen Loch und ein paar abgehängten Häusern, konnte man nur noch erahnen, was sich hier abgespielt hat. Kleidungsstücke am Zaun einer Kirche in der Nähe hatten mich darauf aufmerksam gemacht. Dort hingen auch Bilder, Blumen und Briefe. Alles in allem für mich eine ergreifende und beeindruckende Situation.

Meine zeitige Anreise hatte - außer dem Erlebnis, die Stadt ein wenig kennenzulernen, noch einen weiteren positiven Aspekt. Denn nach diesen drei Tagen hatte ich mich schon gut an die Zeitumstellung gewöhnt. So konnte ich, erholt wie nie zuvor, meine Arbeit an Bord beginnen. Es war meine zweite Reise der erwähnten Position. Meine Vorgängerin war gerade dabei, einen Dichtring am Luftkolben des Auslassventils auszutauschen und da ich das bisher noch nie gemacht hatte, suchte ich sofort meinen Overall aus dem Gepäck und begab mich gleich an den Ort des Geschehens. Zu zweit ging es dann auch schneller, zumal wir uns gleich gut ergänzt haben. So waren wir dann auch bald fertig und konnten uns nach dem Duschen noch zu einem Schwatz über alte Zeiten in der Bar treffen. Zuletzt hatten wir uns während der Schiffsmechanikerlehre auf dem Priwall getroffen.

Diese Reise verlief von Beginn an so anders als meine vorherige, bei der ich Seefahrt zum Abgewöhnen kennengelernt hatte. Vielleicht konnte ich gerade deshalb die positiven Erfahrungen, die ich in den folgenden Monaten machen durfte, viel mehr schätzen. Es ging schon damit los, dass der Kapitän und der erste Offizier mir auf meinen ersten Wachen ihre Freude darüber mitteilten, dass sie jetzt eine Frau an Bord hatten. Es wurde offen kommuniziert und Fragen waren kein Tabu. Außerdem war es selbstverständlich, dass ich auf Fragen eine Antwort bekam. So entstand ein sehr gutes Arbeitsklima, das von gegenseitigem Respekt und von Achtung geprägt war, auch wenn einmal Kritik geäußert wurde. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen funktionierte in alle Richtungen und hat somit dem Besten für den Schiffsbetrieb gedient. Einzig mit meinem Chief war das zunächst nicht ganz so. Ein wesentlicher Grund war wohl der, dass er nur ein Patent hatte und das kombinierte System, das ich nun vertrat, nicht schätzte. Vielleicht hat auch seine eigene Einstellung zur Seefahrt, die von fehlender Freude am eigenen Beruf geprägt war, mit dazu beigetragen. Außerdem hatte er wohl keine guten Erfahrungen mit Neulingen und Frauen gemacht. Trotz allem war für mich sehr angenehm, dass er meine Arbeit nicht groß behinderte und mich gewähren ließ. Auf der anderen Seite gab es aber auch kein Feedback. Wusste ich etwas nicht, musste ich es mir selbst erarbeiten und dann konnte es schon auch vorkommen, dass er meine Resultate anzweifelte. Aber auf meiner ersten Reise, auf der Fragen zu stellen absolut verpönt war und keine Ahnung von einer Sache zu haben noch mehr, hatte ich gelernt, mit solchen Situationen umzugehen und mich durch möglichst gründliche Vorbereitung und sorgfältige Arbeit abzusichern. Eine ziemlich negative Erfahrung, auf die ich zwar gerne verzichtet hätte, die mich aber im Rückblick betrachtet, gestärkt hat. Der Wille, meine Lücken zu schließen und vor nichts zurückzuschrecken, haben gegen Ende auch diesen anfangs sehr distanzierten und launischen Chief dazu bewegen können, meine Arbeit und mich zu akzeptieren und schätzen zu lernen.

Was möchte ich mit diesen Ausschnitten eigentlich sagen? Meine erste Reise nach meiner Schiffsmechanikerausbildung und meinem Studium war, wie angeklungen, nicht sehr schön. Während dieser Reise habe ich mich oft gefragt, woran das liegt. Zunächst habe ich alle Schuld bei mir gesucht. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich gleichzeitig auch noch einen Landjob habe, in dem ich auch fast ausschließlich mit Männern zusammen arbeite. Dort habe ich nach dem Studium als blutige Anfängerin begonnen. Die Theorie des Studiums hat eben nicht viel mit der Praxis im Berufsalltag zu tun. Doch in dieser Firma hat man mich von Beginn an als Kollegin geschätzt und mir, wenn nötig, Hilfestellungen und Hilfe zur Selbsthilfe gegeben. Nun kommt der gleiche Mensch an Bord und trifft auf zahlreiche Widerstände. Ich habe mich auf meiner ersten Reise als SBO als Lernende verstanden. Wozu habe ich schließlich noch das W hinter meinen Patenten? Doch an Bord wurde eine Vollkraft erwartet. Sicher habe ich mich sechs Jahre auf diesen Tag vorbereitet und viel Energie und Kraft in meine Ausbildung und mein Studium gesteckt, um meinen Traumberuf ausüben zu können. Doch dann wurde ich mit der Realität konfrontiert. Das heißt, dass ich vor konkreten Problemen stand, die nicht mit Formeln und Zensuren zu lösen waren. Vielmehr waren ein wachsames Auge, eine gute Auffassungsgabe, ein praktisches Händchen und viel Erfahrung gefragt. Doch diese Eigenschaften sind nicht Schwerpunkte der Ausbildung. Bekommt man dann keine Hilfestellung von Kolleg:innen und Vorgesetzten kann man schnell an seine Grenzen stoßen.

Nach zahlreichen Gesprächen mit weiblichen und männlichen Kolleg:innen habe ich erfahren, dass ich mit meinen Erlebnissen an Bord nicht alleine bin. Wo aber liegt der Grund für diese Misere? Junge, motivierte und im Studium erfolgreiche Menschen kommen an Bord und treffen dort auf oft 20-30 Jahre ältere Kolleg:innen und Vorgesetzte. Diese haben viel Erfahrung, fahren aber oft nur noch aus finanziellen Gründen und nicht aus Freude am Beruf zur See. Wollten eigentlich schon lange an Land, sind aber irgendwie bei der Seefahrt hängen geblieben. Sie sind desillusioniert und haben schon ihre eigenen Erfahrungen mit Neulingen, Männern oder Frauen gemacht. Diese Tatsachen haben einfach Konfliktpotential. Dazu kommt, dass das Bordleben selbst der Seefahrer:in einiges abverlangt. Man lebt auf engem Raum mit wildfremden Menschen zusammen, getrennt von der Familie und Freunden. Von der eigenen Arbeit an Bord hängen unter Umständen - einmal sehr überspitzt gesagt - Leben und Tod der ganzen Besatzung ab. Das Schiff ist der See und dem Wetter ausgeliefert. Dementsprechend gut oder weniger gut kann man sich in seiner Freizeit erholen. Diese Umstände und vielleicht auch Neid, dass der Neuling einen einfacheren Weg bis zu dieser Berufsstufe hatte als man selbst, kann dazu führen, dass das Klima an Bord sehr rau ist. Für mich ergab sich der Eindruck, dass der Neuling, egal ob Mann oder Frau, sich erst beweisen muss.

Es kann auch ganz anders laufen wie meine zweite Reise gezeigt hat. An dieser Stelle möchte ich für das Verständnis der verschiedenen Generationen an Bord für einander werben. Meine Überzeugung ist, dass durch gute Kommunikation ein gutes Betriebsklima geschaffen werden kann, in dem die Seefahrt sehr viel Spaß macht.

AF

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