Literatur-Lesereise auf der Großherzogin Elisabeth (2014)
Im Spätfrühjahr rief bei mir ein Dr. Schenker an und fragte mich, ob ich bereit sei, am 3.10.2014 auf der Lissi aus meinem Buch „Zwischen Hamburg und Yokohama“ vorzulesen im Rahmen des Themas Frauen und Seefahrt. „Ist ja noch lange hin“, dachte ich, also sagte ich zu.
So vergingen viele Wochen, bis ich telefonisch weitere Einzelheiten erfuhr. Ich sollte 50 Minuten lesen, bekam dafür Honorar, Unterkunft, Verpflegung und Fahrgeld. Außerdem durfte ich mir ein persönliches Lied auswählen, welches die Akkordeonistin dann spielen würde. Ich wählte „Die Capri Fischer“. Zwei Wochen vor dem Lesetermin hab ich mich intensiv mit meinem Buch beschäftigt und darüber nachgedacht, was infrage kommen könnte zum Vorlesen. Ich hatte über die Jahre auch schon so Einiges vergessen.
Am 2.10 reiste ich nach Elsfleth. Siehe da, am Kai stand Dörthe und erwartete mich. Es stießen dann noch Ulla und Ria dazu und wir haben zwei Stunden im Salon der Lissi zusammen gesessen. Mitreisen wollten die Weser-Damen aus Kostengründen nicht. Nachdem ich etwa 4 Stunden unruhig geschlafen hatte, stand ich am nächsten Morgen auf und habe mit der ehrenamtlich arbeitenden Crew gefrühstückt. Danach kamen auch schon die Gäste. Es waren insgesamt 60 Leute an Bord. Die Moderation der Lesungen übernahm Ursula Feldkamp. Sie hat sich auch im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit dem Thema Frauen an Bord beschäftigt. Diese wird demnächst unter dem Titel Frauen auf Frachtschiffen in autobiografischen Quellen 1830-1939 veröffentlicht.
Die erste Lesung machte Simone Kahlow über Mimi Leverkus`s Jahre an Bord (Eine Frau fuhr mit) von 1882-1886. Simone las mit großer schauspielerischer Perfektion über 45 Minuten. Ulla kommentierte die Lesung. Ich war etwas irritiert und dachte mir: „Das ist ja nicht mehr zu toppen“. Dann nach 10 Minuten wurde ich von Ulla anmoderiert. Viele waren an Deck in die Sonne gegangen und mussten erst mal zurück gerufen werden.
Ich begann damit, zunächst zu erzählen, dass der Funkermangel und die eingerichteten Semester auf der Seefahrtsschule es mir möglich machten, zunächst das Seefunksonderzeugnis zu erwerben. (Nach vier Jahren musste ich nochmal ein Semester auf der Seefahrtsschule verbringen, um das 2. Kl. Funkpatent zu erwerben.) Dann erzählte ich, dass seinerzeit neben dem Kapitän und Koch der Funker mit zu den wichtigsten Personen an Bord gehörte. Er stellte per Morsetaste die Verbindung zwischen Schiff und Land her. In diesem Zusammenhang demonstrierte ich mein Arbeitsgerät, die Morsetaste mit Summer. Das hatte ich von zu Hause mitgebracht. SOS, sagte ich, kennen sicherlich viele durch den Vorspann bei der Fernsehsendung Mare TV. Ich sagte, dass es für jeden Funker schrecklich ist, wenn er plötzlich auf SOS reagieren muss. Anschließend morste ich noch einen Anruf an DAN Norddeich Radio so wie man seinerzeit ein Telegramm angekündigt hat.
Erst jetzt begann ich vorzulesen, und zwar über die großen Schwierigkeiten meiner ersten Reise als Küstenablösung mit viel Verwaltungsarbeit und viel Durcheinander aus dem Empfänger. Meine ganze gewesene Euphorie schmolz damals dahin. Es dauerte einige Zeit, bis ich es wagte, mein erstes Telegramm abzusetzen und qsl (Telegramm erhalten) erhielt. Dann konnte ich nachts tief und fest schlafen bis zum nächsten Telegramm. Ich wurde aber immer sicherer, dennoch hätte ich nie gedacht, dass mein ausgewählter Beruf mir das Leben so schwer machten würde. Nach einer Küstenablösung wollte ich mich erst mal erholen, wurde dann aber sofort wieder gerufen, um einen Kollegen in Amsterdam abzulösen. Die Schiffe fuhren im Liniendienst zwischen Westafrika und Europa mit Holzstämmen an Deck. Vier Küstenablösungen machte ich insgesamt.
Dann kam mein Freund zurück und unsere Reederei hielt ihr Versprechen. Ich wurde dort an Bord eingesetzt. Der englische Funker durfte auf den ersten Semicontainer-Neubau wechseln. Die Reederei hatte das meinem Freund nicht mitgeteilt. Es war eine Überraschung, als ich plötzlich am Pier stand mit meinen Koffern. Die Freude des Wiedersehens war riesig. Leider wurde das Schiff nach zwei Rundreisen vom Kontinent nach Nord- und Südamerika in Hamburg als unrentabel an die Pfähle gelegt. Wir kamen auf ein anderes schönes, altes Schiff mit eigenem Ladegeschirr, Mahagonitäfelung überall, Messingbeschläge, einem plüschigen Salon mit Salonsteward. Auch dieses Schiff mussten wir nach einer Rundreise Kontinent, Venezuela in Hamburg an die Pfähle legen.
Als nächstes stiegen wir auf einem Neubau, einem Semicontainerschiff gemeinsam ein. Es gab dort keinen Salon mehr, auch keine Mahagonivertäfelung und Messingbeschläge. Es wurde in einer Offiziersmesse gegessen, aber immerhin noch vom Steward serviert. Die Mannschaft hatte ihre eigene Messe. Auf diesem Schiff machten wir das erste Mal Bekanntschaft mit den Südsee-Kiribati-Seeleuten, die von einer Hand voll deutscher Reeder in einer Seefahrtsschule ausgebildet worden waren. Wir mussten gewisse Regeln beachten. 80 Prozent der eh niedrigen Heuer mussten die Seeleute nach Hause schicken. Sie bekamen nur zwei Flaschen Bier in der Woche, da sie Alkohol nicht gewohnt waren. Wir liebten diese unverdorbenen Naturmenschen, die nie Schuhe kannten. Es war schmerzlich anzusehen, den Füßen Schuhe anzupassen.
Als ich noch über den zweiten ägyptischen Offizier, der seine Frau an Bord bestellt hatte und in der Kammer diese arme Frau verschlossen hielt, berichtete, sprach Ulla Feldkamp mich an und sagte: „Die Zeit ist um, Du musst zum Ende kommen.“ Dabei war ich noch lange nicht fertig mit meinen Erzählungen. Die 50 Minuten waren so schnell vergangen. Der Applaus war auch für mich überwältigend. Einige sagten später an Deck zu mir, Sie finden es toll, mich persönlich als Autorin erlebt zu haben. Ulla Feldkamp sagte mir auch sofort, dass ich das super gemacht habe, sehr authentisch.
Nun gab es ein wunderbares Mittagessen mit Reis, Putengeschnetzeltes und Salat sowie Rote Grütze Nachtisch. Danach am Nachmittag las Simone Kahlow aus dem Buch von Hildegard Morche „Seemannsbraut ist die See“. Eine Ehe zwischen Abschied und Wiedersehen. Nach der Lesung gab es Kaffee und Kuchen. Um 1600 Uhr legte das Schiff in Elsfleth wieder an. Uns Darstellenden wurde noch eine Flasche Rotwein überreicht. Es war eine wunderschöne, sonnige Reise. Ich wusste gar nicht, dass das Ufer der Weser so traumhaft schön ist. Wir mussten schnell von Bord, da das Schiff für den Abend schon wieder verplant war.
HE