Grüße von der OOCL Malaysia (2003)

Wo um Himmels Willen fange ich an? Am besten bei meinem Knie. Zehn Tage vor meiner Abreise nach Hongkong habe ich es geschafft, mich mit dem linken Knie auf die Kante einer Rolltreppenstufe zu werfen. Das Ergebnis musste mit 14 Stichen genäht werden. Mit der Beweglichkeit hatte ich zunächst arge Probleme, aber ich komme inzwischen alle Leitern hoch und runter und das ist die Hauptsache.

Die Fäden habe ich mir dann übrigens unterwegs selber gezogen - es war nicht wirklich cool. Und dann Hongkong. Mit meinen 38,7 kg Gepäck (40 kg sind maximal erlaubt, das nenne ich wahres Augenmaß) haben mich meine Eltern in Hamburg am Flughafen abgeliefert, so dass ich meine 14-stündige Reise über Amsterdam nach Hongkong antreten konnte. Irgendwann geht auch der längste Flug zu Ende und so konnte ich am Zielort vom Agenten abgeholt werden. Mit mir waren noch zwei Kollegen dabei, die für ein anderes Schiff bestimmt waren, jedoch zur selben Firma gehören. Da ich noch ca. 35 Stunden Zeit hatte, haben wir an zwei Nachmittagen und einem Abend zusammen die Stadt unsicher machen können. Hongkong ist einfach atemberaubend!

Punkt Mitternacht des Tages bin ich vom Agenten zur OOCL Malaysia gebracht worden, von deren Größe ich wirklich beeindruckt war. Der Kapitän hat mich erst einmal bis sechs Uhr schlafen geschickt, aber ich mal wieder nicht eine Minute durchgehalten, dazu war ich viel zu aufgeregt. Um es kurz zu machen: An einem Donnerstag bin ich geflogen und bis Sonntagabend gegen Mitternacht (nach meiner ersten Brückenwache) hatte ich zehn Stunden geschlafen, alle im Hotel.

Dann kam die Übergabe. Mein Vorgänger ist acht Stunden lang mit mir über den Dampfer gerannt und hat wild rumassoziiert. Nach fünf Stunden hatte ich einen Punkt erreicht, bei dem die älteste Information immer über den Rand fallen musste, um der neuesten Platz zu machen. Meine Fragen wurden immer dämlicher und ich immer erschöpfter. Mittlerweile weiß ich immer noch nicht ganz genau, wie ich einige meiner Aufgaben ganz konkret durchzuführen habe, aber der Nebel lichtet sich langsam. Ich versuche mich in die Ordner über Ordner von Vorschriften einzulesen, um dann irgendwann mit gutem Gewissen Sicherheitsoffizier sein zu können, während ich nebenbei meine Feuerlöscher, Rettungsringe, Schläuche, Atemschutzgeräte etc. kontrolliere und die Hafenpapier anfertige und die Monatsendabrechnung für Proviant, Funk etc. und die Papiere der Besatzung verwalte und acht Stunden täglich Wache gehe (im Hafen zwölf). Zum Glück sind sämtliche Leute, mit denen ich hier zu tun habe, fürchterlich nett.

Der zweite Offizier (deutsch) hatte vorher auf diesem Schiff meinen Job und der Ärmste muss sich deswegen tausend Fragen von mir anhören. Riesig hilfsbereit ist er und hat einen super Sinn für Humor. Den ersten Offizier (polnisch) kann man mit plus/minus einem Deck Genauigkeit olfaktorisch einpeilen - ich weiß nicht, womit er sich einduftet, aber zum Glück riecht es gut. Er ist mein Kammernachbar und ich kann immer riechen, wenn er da ist. Auch er ist super nett und beantwortet alle Fragen breitwillig. Der Kapitän (deutsch) ist prima! Nett und freundlich (meistens), nimmt er den Papierberg, unter dem hier alle ersticken, erfrischend wenig ernst.

Die Deckscrew, allesamt Filipinos, hat sich auch langsam mit dem Gedanken an eine Frau in ihrer Mitte abgefunden. Sie haben mir bei meiner ersten Hafenwache alles gezeigt und erklärt. Beim An- und Ablegen, bei dem ich mit einem Funkgerät vorne stehe und das Handling der Leinen beim Festmachen und Loswerfen überwache, klappt alles wie von selbst. Stets werde ich höflichst begrüßt, beispielsweise mit: "Good afternoon, Third!" Alle sind total lieb!

Wie sieht es aber nun mit meinem Tagesablauf aus? Ich stehe um sieben auf. Der Wachmatrose auf der Brücke weckt mich mit fies guter Laune telefonisch: "Hello Third, wake-up-call, a very good morning to you, Sir!" Ja, das rutscht ihm tatsächlich fast immer raus! Um halb acht gibt es Frühstück und um kurz vor acht gehe ich auf die Brücke, um den Chiefmate von der Wache abzulösen. Meist ist der Alte auch oben, um mit seinem Ersten den anstehenden Tag zu besprechen. Bis zwölf fahre ich das Schiff bzw. meist fährt es sich zum Glück allein. Wenn die Verkehrssituation es zulässt, beschäftige ich mich mit allerhand Papierkram: Firmen-Quality-Management, Sicherheit, aber auch Brücken-Equipment in Form von Handbüchern etc. Einmal mache ich eine Wetterbeobachtung, die an den Deutschen Wetterdienst in Hamburg getelext wird und um 1000 Uhr habe ich frischen Kaffee für den Kapitän gekocht. Dann sind da so Sciherheitsgerätschaften wie Leinenschussgeräte, Radartransponder etc., aber auch Flaggen, Tagsignale und anderes, die alle mal inventarisiert werden wollen. Darüber hinaus gibt es für den Fall aufkommender Langeweile tausend Bücher, beispielsweise über Ladungssicherung, Beweissammlung, liberianisches Handelsrecht (Oh, mein Gott!) oder bridge procedures. Eingehende navigational warnings plotte ich auf den relevanten Seekarten und ansonsten trage ich stündlich den aktuellen Schiffsort in die Karte ein und schreibe immer gleiche Kommentare in das Logbuch, zum Beispiel: "Vessel moving easterly in slight westerly seas; good visibility."

Der Zweite, den ich um 1120 Uhr geweckt habe, kommt kurz vor Mittag auf die Brücke, um bis vier seine Wache zu gehen. Wir schalten von einer auf die andere Hydraulikpumpe für die Ruderanlage um, testen kurz das Typhon, auch Schiffssirene genannt, sowie die Tröte für den Generalalarm und schreiben alle möglichen Daten für den noon report auf, der an die Firma geschickt wird. Wir quatschen meist noch ein bisschen und dann gibt es Mittagessen. Hmmm! Lecker!

Der Koch ist jemand, der sein Handwerk überhaupt nicht beherrscht und so ist das Essen immer wieder ein fetttriefendes Abenteuer. Beim Mittagessen treffe ich den Chiefmate wieder. Die Stimmung ist meistens gut, denn was soll man anderes tun, als darüber zu lachen? Steward zum Chiefmate: "Chief, Roastbeef?" Chiefmate (eine Augenbraue anhebend): "No risk, no fun!" Steward (leicht verunsichert): "Yes?" Chiefmate (in resigniertem Ton): "Yes." Zehn Minuten später ertönt vom Senior-Offizierstisch (ich selbst sitze als Junior-Offizier am Katzentisch) wüstes polnisches Gefluche unseres Elektrikers, der versucht, sein Messer durch das Fleisch zu treiben. Der Chiefmate verschluckt sich vor Lachen und schiebt seinen Teller weg. Naja, so oder ähnlich geht es fast jeden Tag. Bald bekommen wir einen neuen Koch - warten wir es ab!

Den Nachmittag soll ich eigentlich damit zubringen, mein Sicherheits-Equipment zu warten und zu inventarisieren, damit jederzeit die Einsatzbereitschaft für alle möglichen Notfälle gewährleistet ist. Ich bin aber zurzeit noch vorwiegend damit beschäftigt, mich zurecht zu finden in dem Berg von Papier und Daten, den ich produzieren soll, um zu dokumentieren, dass ich immer alles rechtzeitig erledige. Schon ironisch, dass ich genau deshalb gerade NIX rechtzeitig hinbekomme.

An ungeraden Tagen gehe ich um halb sechs frisch geduscht für eine halbe Stunde auf die Brücke, um den Chiefmate, der von vier bis acht Wache hat, für das Abendbrot abzulösen. An den geraden Tagen übernimmt das der Zweite. Um sechs gibt es Abendbrot, das an den ungeraden Tagen vom Chiefmate blumig und mit einem breiten Grinsen - "Enjoy!" - angekündigt wird. Dort treffe ich dann auf den Zweiten und den Kapitän.

Habe ich das Gefühl, dass für den Tag alles soweit geschafft ist, unterhalte ich mich noch ein wenig mit dem Zweiten oder lese, aber oft erledige ich bis zu meiner Wache um acht noch Papierkram. Die Filipinos sind ganz fasziniert: "Third, overtime? When do you sleep?"

Um acht geht es dann rauf auf die Brücke. Es ist jetzt dunkel, also zehn Minuten früher hin, damit die Augen sich daran gewöhnen können. Wenn es dunkel ist, muss auch ein Matrose mit auf der Brücke sein, der nach Lichtern ausguckt. Todesmutig hat man mir, die ich null Wacherfahrung hatte, gleich in der ersten Zeit den Verpisserkönig zur Seite gestellt, der zudem noch blind ist wie ein Maulwurf. Mein Vorgänger hat ihn treffend als die Summse bezeichnet, weil er die ganze Zeit über, vier Stunden lang also, in den höchsten Falsettlagen vor sich hin summt. Ich versuche das dezent mit Hintergrundmusik zu übertönen, aber man muss den Funkverkehr ja immer noch verfolgen können. In regelmäßigen Abständen kommt er beiläufig bei mir vorbei geschlendert ("Hmmm, hmmm, hmmm!"), um sich im Radar anzusehen, was er gleich sichten und melden muss. Ansonsten schläft er, glaube ich, im Stehen. Nur wenn der Alte raufkommt, flitzt er los, um um ihm einen Kaffee zu holen. Er kann aber auch ganz aufgeregt werden, wenn ich ihm erzähle, dass wir nun in Gebiete vordringen, in denen kleine Fahrzeuge zuerst gesichtet werden, bevor sie das Radar erfasst. Zu viel Verantwortung! Viertel vor Mitternacht wecke ich den Zweiten und dann gehe ich ins Bett, um sechseinhalb Stunden zu schlafen.

So sieht mein Tagesablauf auf See aus. Wie es im Hafen läuft und was es sonst noch für Aktivitäten an Bord gibt, ich sage nur: Safety drill, regelmäßige Sicherheitsübungen, die ich planen und dokumentieren soll, davon mehr beim nächsten Mal. Bis dahin macht es gut alle miteinander.

MW

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