Das Coromandel-Taxi (2003)

Columbus Coromandel, Einlaufen Los Angeles, 1400 LT, seit einer halben Stunde fest am Matson-Terminal. Nur eine Frage, die alle beschäftigt: "Ist Carrie schon da?" Carrie? Eine so wichtige Person, dass jeder nach ihr fragt - ich als neue Zweite war reichlich gespannt, was für ein Wesen da wohl erscheinen würde. Einige Minuten später stand sie auf dem Poopdeck: klein, Shorts und Teva-Latschen, Pferdeschwanz, einen schweren Pappkarton voll XBT in den Armen.

XBT (expendable bathy thermograph): eine Bleiprobe an einem hauchdünnen Kupferdraht, die (z.B. aus der Nock) abgeworfen wird. Per Computer wird mit Hilfe der mit der Temperatur variierenden elektrischen Leitfähigkeit des Wassers ein Tiefen-Temperatur-Profil von der Oberfläche bis ca. 800 m Wassertiefe aufgenommen, um u.a. das El-Nino-Phänomen vorherzusagen.

Meine sonst meist beherrscht-ruhigen Kollegen schnattern wild durcheinander, so zog ich mich an Deck zu meiner Ladung zurück und dachte über den ersten Eindruck nach. Sie sah ja nett aus, aber deshalb so eine Aufregung?

1730 LT im Cargo Office: Ein strahlender Chiefmate erzählt mir, Carrie habe ihn für den Abend zum Essen eingeladen. Ich gönnte es ihm, war er doch die ganze Reise noch nicht von Bord gekommen. Allerdings dachte ich auch mit einem leisen Anflug von Neid: "Naja, bis dich mal wer einlädt, musst du dich wohl noch einige Jahre gedulden."

0030 LT: Ein froh dreinschauender, gar nicht mehr gestresst wirkender Chiefmate und Carrie begegnen mir an der Gangway. Ein freundlicher Blick und als ich gerade weitergehen will, kommt die große Überraschung: "Your Chiefmate told me you haven't been ashore since you have joined - I'll tell the Master you'll be out for dinner with me tomorrow evening." Ich konnte es kaum glauben und sah schon den Kapitän statt meiner gehen - aber nein: Carrie regelte alles. Morgens fuhr sie mit dem Alten Schuhe kaufen und lud ihn zum Lunch ein, nachmittags ging es mit Chief und Blitz zur nächsten Shopping Mall und pünktlich um 1830 Uhr wartete mein Privattaxi samt netter Fahrerin an der Pier.

Auch ich kam bestens gelaunt zurück: Ein schönes Dinner fernab der Bordhektik, interessante Gespräche, die ganze Stimmung - einfach ein Mensch, der es verstand, die paar Stunden Landgang zu einem kleinen Urlaub werden zu lassen. Langsam begann ich, die Carrie-Aufregung zu verstehen und nach einer Rundreise benahm ich mich genau wie die Kollegen.

Sobald Carrie erschien, herrschte Freude an Bord und sie verstand es, trotz der begrenzten Zeit jedem die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ihr größter Stolz: ein neuer Truck (Ford pick-up) in leuchtend gelb. "It's got one additional seat - so I can give a lift to one more of you guys!"

Die Funktion, in der Carrie Schiffen ihren Besuch abstattet, lautet: Research and Education Coordinator für das Forschungsprogramm SEAS der NOAA in Zusammenarbeit mit SCRIPPS Institution of Oceanography. Neben vielfältigen Arbeiten an Land ist es ihre Aufgabe, die Schiffe mit XBT-Nachschub zu versorgen, Daten zu sichern und auch ab und an mal den Kapitän zum Essen einzuladen, um die Schiffe zur Mitarbeit zu motivieren. Von unzähligen Taxifahrten, Einladungen in ihr Haus, Freikarten fürs Aquarium, Kurierdiensten zwischen Schiffen, Übernachtungen bei ihr daheim, einer Fahrt nach Hollywood, weil der russische Blitz noch einen Tag Zeit hatte vor dem Heimflug und so gern dorthin wollte, ist nirgendwo die Rede. Die Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortführen und viele der Aktivitäten sind beileibe nicht von ihrem eher spärlichen Spesen-Budget gedeckt.

Tief beeindruckt hat mich Carrie immer wieder mit ihrem Gespür dafür, wer ihre Aufmerksamkeit wann am dringendsten brauchte und das mit ihrer Fähigkeit, jedem das Gefühl des besonders Bedachtwerdens zu geben und auf diese Weise zum Beispiel den Kapitän zu überzeugen, den Chiefmate auch einmal an Land gehen zu lassen.

Menschen, die wie Carrie eine ganz besondere Art des Umgangs mit Besatzungen haben und eine unglaubliche Anziehungskraft auf sie ausüben, sind mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet: Seemannspastorin Heimer in Middlesborough oder Agent Wolfgang Klapproth in Hamburg, um nur zwei weitere zu nennen. Sie sind eine enorme Bereicherung für das Bordleben aller Seeleute und machen die manchmal unmenschlich kurzen und hektischen Hafenliegezeiten auf ihre Weise um so vieles menschlicher, dass sie alle einen Orden verdient hätten.

Wichtiger als der Orden ist aber vielleicht, dass wir deutlich zeigen, was uns diese Unterstützung bedeutet und deshalb möchte ich mich hier in aller Öffentlichkeit bedanken für den persönlichen Einsatz, dieser guten Seelen der Häfen, insbesondere bei Carrie, die mir eine gute Freundin geworden ist.

Es erübrigt sich wohl, zu sagen, dass auf der Columbus Coromandel mit dem größten Eifer XBT-Abwürfe durchgeführt wurden.

SF

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