Annyonghaseyo, liebe Seefrauen! (2004)

Hier ist ein kleiner Bericht von der Daewoo-Werft (Koje Island, SWlich von Pusan), wo ich Anfang des Jahres die Bauaufsicht für eine Serie von sechs Containerschiffen (5.100 TEU) gemacht habe. Anfang Januar brach ich nach Korea auf, nachdem das site office bereits seit November mit einem Chief und einem Schiffbauingenieur besetzt war. Zunächst standen vor allem die Abnahmen einzelner Blöcke, dann auch der ersten Joints, den Verbindungen zwischen zusammengefügten Sektionen, auf dem Programm. Und das als Chiefmate? Neuland in jeder Hinsicht, da ich bisher weder in Asien war noch Bauaufsicht gemacht oder einen Neubau in Dienst gestellt hatte.

Bedenken, ob mein Schiffbau-Wissen ausreichen würde, erwiesen sich als unbegründet - da meist der Schiffbauer und ich sowie ein GL-Vertreter gemeinsam zu den Abnahmen gingen, ließen sich Konstruktionsfragen schnell klären. Das Entdecken von Löchern in einer Schweißnaht, ungeschliffene Kanten oder verbogenen Stahlplatten ist mehr eine Frage des genauen Hinsehens. Eine große Herausforderung lag darin, Probleme (falsch ausgerichtete Leitern, Hindernisse im Bereich des Niedergangs etc.) schon im Blockstadium zu erkennen, obwohl der Block u.U. schräg lag und mit Stellagen vollgestopft war. Es war einige Vorstellungskraft vonnöten, sich das Schiff samt seiner Funktionsabläufe um das kleine Bauteil herum zu denken, so dass sich manche Fehler doch erst am fertig zusammengebauten Schiff zeigten.

Falls jemand (wie ich anfangs) meint, dass der Kiel des Schiffes zu Baubeginn gelegt würde, der irrt sich, jedenfalls bei Werftfabriken wie Daewoo: Zum Zeitpunkt der Kiellegung standen bereits sämtliche Einzelteile "meines" Neubaus auf der Werft herum, und im Schwimmdock setzte man gerade die achtere Hälfte zusammen, um sie dann auszuschwimmen und mit dem Vorderteil im Trockendock zu verbinden.

Nachdem ich eine kleine Urlaubspause hatte, war dann die heiße Phase der Ausstattung angebrochen. Überall wurde gebrutzelt, geschliffen, gemalt, verkabelt, verkleidet und angebaut - allerdings nicht immer in einer für mich nachvollziehbar logischen Reihenfolge. Parallel dazu entstanden in Fließbandfertigung die Blöcke von Schiff zwei und drei. Rund 40 Neubauten werden pro Jahr abgeliefert und sorgen auf dem Werftgelände für ein faszinierendes Gedränge von Schiffsteilen in allen Baustadien. Es erinnert an ein überdimensionales Legospiel. Ob niemals die Übersicht verloren geht und nach einem Stein gesucht werden muss? Die gesamte Arbeit dort war eine hochinteressante Erfahrung, ganz davon abgesehen, dass es spannend war, gleichzeitig dieses mir sehr fremde Land und seine Bewohner:innen ein wenig kennen zu lernen.

Ein typischer Tagesablauf sah etwa so aus: Morgens um kurz vor acht war die allgemeine Ankunft im Büro. Nun hieß es, sich fix umzuziehen und noch einen Kaffee zu trinken, bis der Verantwortliche vom Qualitätsmanagement der Werft zur Besprechung des vorher gefaxten Abnahmezettels anrief: "Good morning, this is Mr. Woo speaking, how are you today?" Nach der Termin- und Personalklärung endete dieses Gespräch unweigerlich mit "Thank you very muchy!". Dann zu diversen Abnahmen, einmal durchs halb fertig gestellte Ruderblatt von Schiff No. 2 kriechen und die Naht zweier aneinander gesetzter Laderaumhälften untersuchen. Anschließend an Bord von No. 1 aufpassen, dass bei der Container Demonstration auch jeder Stellplatz einer Bay ordentlich getestet wird, dabei entdecken, dass leider eine Lampenhalterung viel zu tief über einem Niedergang hängt.

Per Lautsprecher wird die Werft plötzlich mit Schützenliesl, Wiener Walzer oder koreanischer Musik beschallt: Aha, schon 1200 Uhr, Kimchi-Zeit! Wer sich nach dem Durchlesen des Speiseplans noch traut, geht in die Kantine (z.B. Chinese muddyfish soup und garantiert jeden Tag Reis und Kimchi, scharf-sauer eingelegter, leicht vergorener Chinakohl). Das war leider das Negativ-Highlight des Tages, selten war das Essen genießbar. Nicht deshalb, weil es koreanisch war, sondern weil es sich einfach um schlechten Kantinenfraß handelte. Wer pult schon gerne mit Essstäbchen die Gräten aus Fisch, der mit allem drum und dran einfach nur in Stücke gehackt wurde... Alternativ blieb nur, die mitgebrachten Brote zu vertilgen und ab und an abends in eins der vielen guten Restaurants zu gehen.

Während der Mittagspause wurde dann schonmal der Claim wegen der Lampenhalterung und eines fehlenden Handgriffs oberhalb einer Leiter geschrieben. Beim erneuten Besuch an Bord zwecks Besorgung von Beweisfotos fällt eine vom Regen durchweichte Isolierung ins Auge, die wieder entfernt werden muss. Außerdem hängt noch eine Leiter seitlich versetzt unter einem Mannloch. Also weitere Fotos machen und noch zwei Claims schreiben. Klopfen an der Tür: "Miiss Piiink?" (das koreanische Alphabet kennt kein F). Mr. Klang (einer der wenigen, die nicht Kim, Park oder Lee heißen) erscheint zur Diskussion der Claims und argumentiert, nachdem wir die Fakten dargelegt haben, wie folgt: "1. Das bauen wir schon immer so. 2. Damit haben wir eine Menge Erfahrung auf vielen Schiffen. 3. Darüber hat sich noch kein Kunde beschwert. 4. Ja, aber das wird doch gar nicht oft benutzt." Wenn wir genauso zäh (wie koreanischer Reiskuchen) Gegenargumente bringen, kommt zum Schluss: "Yes, I see, but you have to understand our situation!", sprich: "Wir wollen das nicht ändern, das kostet Geld!" Haben wir mühselig eine Änderung durchgesetzt, bedeutet das nicht automatisch geänderte Zeichnungen. Also: Obacht beim nächsten Schiff!

Mr. Klang versuchte mich eine Viertelstunde lang zu überzeugen, dass wir in der Bodenlage keine manuellen Twistlocks setzen würden, bis ich heraus bekam, worum es ging: Er meinte nämlich, dass der an einer Containerstütze geforderte zusätzliche Handgriff doch nicht benötigt wurde. Als ich ihm erklärte, der Griff wäre für "maintenance", gab er sich geschlagen und keine halbe Stunde später war der Stahlbügel angeschweißt. Devise: Lieber eine Stunde diskutieren als fünf Minuten Arbeitszeit auf eine Änderung verwenden. Abgesehen von diesem geschäftlichen Tauziehen sind die Koreaner:innen sehr hilfsbereit, offen und freundlich. Ich habe bisher in menschlicher Hinsicht nur gute Erfahrungen gemacht.

Nun noch ein wenig zum Thema weiblicher Supervisor auf einer koreanischen Werft: Ernste Sorgen hatten vor meiner Ankunft die Farbinspektoren unseres Site Office (Korea ist sehr prüde): Wo zieht sie sich bloß um - doch nicht etwa hier in der Spind-Ecke des Büros?? Anfangs war ich schon überall der "bunte Hund". Zwar auch als Frau, aber eigentlich viel mehr noch wegen meiner Länge, da ich den Durchschnittskoreaner um mindestens einen Kopf überrage. "How tall are you?" wurde ich erheblich häufiger gefragt als nach Alter und Familienstand.

Das Dinner zum Stahlanschnitt des zweiten Schiffes wurde auf einen Termin nach meiner Ankunft verschoben - Vice President, Director und Co. waren doch ein wenig neugierig, was für ein Wesen dort erscheinen würde. Während der Abnahmen wurde ich oft gerade von den Malerinnen und Reinigerinnen angestaunt. Zum einen wieder wegen meiner Körpergröße und zum anderen deshalb, weil koreanische Frauen auf der Werft nur die niedrigsten Arbeiten verrichten oder aber im Büro oder bei der Innenausstattung tätig sind. Akzeptanzprobleme gab es jedoch zu keiner Zeit. Ich habe manchmal eher das Gefühl, dass dieser oder jener Mr. Kim einmal häufiger etwas mit "Miiss Piiink" besprechen möchte als mit den Kollegen.

Seit letzter Woche ist auch die 3. Ingenieurin für das erste Schiff eingetroffen, wieder ein Grund zum Staunen. Und neuerdings sitzt im Nachbaroffice bei Leif Höegh eine Norwegerin, die Marine Technologies studiert hat. Nebenbei bemerkt ein Beispiel, wie sich mit etwas Glück Beruf, Familie und Auslandseinsatz verbinden lassen: Ihr Mann arbeitet für Det Norske Veritas bei Daewoo, ihr zweieinhalbjähriger Sohn besucht den koreanischen Kindergarten und hat ein Kindermädchen hier.

Erwähnenswert ist noch das Autofahren in Korea. Wie bei der Sprache (wir haben uns wagemutig an einen Koreanischkurs getraut, zwei Abende mit 1,5 h geistiger Druckbetankung, die regelmäßig mit einem Input overflow endet...) gilt, dass die ohnehin spärlichen Regeln eher selten beachtet werden: Pannenblinker an und Licht aus vor der roten Ampel, Busse und LKWs haben Vorfahrt, Taxis fahren bei Rot, deshalb nicht sofort bei Grün losfahren, blinken verwirrt andere Verkehrsteilnehmer:innen und schau ja nicht nach links und rechts beim Queren der Straße, so ließe sich der Verkehr in Kürze beschreiben. Für die rundum verbeulten Autos gibt es aber Bordcomputer, die vor den unzähligen speed cameras warnen. Die 15-minütige Fahrt zur Werft war jeden Morgen ein kleines Abenteuer.

SF

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