Meine erste Reise als Offizierin (2020)

Hallo, liebe Seefrauen,

ich bin zurück von meinen ersten „richtigen“ Reisen als Steuerfrau. Das letzte Semester ging wahnsinnig schnell vorbei, plötzlich hatte ich ein Patent in der Hand und konnte loslegen. Es folgte eine kurze, angespannte Wartezeit und dann saß ich im Zug von Elsfleth nach Norden. Auf dem geplanten Schiff hatte ich zwar als NOA schon Zeit verbracht, aber trotzdem war ich sehr gespannt. Wie ist wohl die Stimmung mit der neuen Crew? Welche Ladungen und welche Reisen sind zur Zeit im Programm? Was hat sich bei der Ausrüstung geändert?

Die Begrüßung an Bord erfolgt mit einem Safety Drill, mein Kollege zeigt mir gleich Bereitschaftsboot und Feuerlöschausrüstung. Dann geht es in den Maschinenraum und auf die Brücke. Im Lauf der nächsten Tage fülle ich mein Notizbuch, durchwühle Schubladen, probiere Geräte, blättere in Anweisungen und Handbüchern und erfahre, was ich zu tun habe. Manches kommt mir bekannt vor, aber seit meiner NOA-Zeit hat sich überraschend viel geändert und es gibt Dinge, die mir bei meinen ersten Schritten in der Ausbildung noch nicht aufgefallen waren. Aber der größte Unterschied ist die Verantwortung. Mitmachen und auch Selbermachen waren doch irgendwie entspannter, wenn jemand mit Erfahrung daneben steht. Zum Glück kann ich immer noch den Kapitän fragen, wenn ich nicht mehr weiter weiß.

Auch bei den Wachen fällt mir der Unterschied auf. Zuletzt war ich im Simulator gewesen. Die Übungen waren definitiv spannend und fordernd, aber die schlimmste Konsequenz wäre, sie zu wiederholen. Jetzt habe ich ein echtes Schiff, das keine Beule bekommen darf. Und viele Kleinigkeiten des echten Lebens kommen jetzt erst dazu: Wann habe ich Zeit für den Kontrollgang in den Maschinenraum? Segler anhupen oder nicht? Auf welchem Kurs rollt das Schiff weniger? Wie lange dauert der Sprint ins Bad? Und, da wir keinen eigenen Maschinisten dabeihaben, was ist bei einem Maschinenalarm zu tun, Kapitän wecken oder nicht?

Trotzdem fühle ich mich vom Studium gut für meine Wachen vorbereitet und bin auf See entspannter als im Hafen. Denn einen Ladungswache-Simulator gab es nicht, ich muss mir jetzt selbst überlegen, wie die Ladung verteilt wird. Ohne Stabilitätsrechner. Ich baue mir einen eigenen Excel-Rechner als Hilfsmittel, der meinen Schmierzettelverbrauch stark senkt. Diese Arbeit wird sogar von der Reederei gebührend gewürdigt. Dann muss natürlich noch die nächste Reise geplant werden, zwischendurch läuft der Ballast über und Wartungslisten und Drills brauchen auch ihre Zeit. Inzwischen haben wir dank Corona eine Landgangssperre. Die hat zumindest den Vorteil, dass wenig Behördenvertreter an Bord kommen und ich erst einmal meine eigene Routine finden kann, bevor ich anderen alles zeigen muss.

Am spannendsten finde ich das Manövrieren, denn mein Ablöser und ich haben das Glück, dass wir von Anfang an Manöver üben dürfen. Dafür bieten sich bei den häufigen Nord-Ostsee-Kanal-Passagen immer wieder Gelegenheiten. Die intensive Konzentration wird dann belohnt, wenn sich das Schiff ganz sanft an die Pier legt und Kapitän und Lotse zufrieden aussehen. Danach erfolgt ein Gang in die Kombüse zwecks Nervennahrung. Am liebsten sonntags, denn da ist Pizzatag und der Koch macht sogar den Teig selber.

Am Ende der ersten Reisen merke ich, dass ich schon entspannter und routinierter werde. Die Wochen, die ich jetzt jeweils abwechselnd mit meinem Ablöser an Bord bin, gehen überraschend schnell vorbei. Ich habe inzwischen einen Plan, was ich wann wie mache, und nutze jede Gelegenheit, um Schiff und Maschine noch besser kennenzulernen. Dabei bekomme ich auch die ersten Ideen, was man anders oder besser machen könnte. Und ich freue mich, als ich dann am (geisterhaft leeren) Bahnhof auf dem Weg nach Hause stehe. Die anstrengende erste Runde ist geschafft und nächstes Mal werde ich schon gelassener sein und bestimmt noch einiges dazulernen. Aber jetzt erstmal ausschlafen und in einigen Wochen geht es wieder los.

IR

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