OSC-Lehrgang (2021)
Letztes Jahr schickte mich meine Firma zum OSC-Lehrgang nach Bremen. OSC steht für On-Scene Co-ordinator. Das ist in einem Seenotfall die Person auf einem Schiff vor Ort, die in Zusammenarbeit mit der Seenotzentrale den Einsatz leitet. Soweit wusste ich das aus meinem Nautikstudium. Viel mehr allerdings auch nicht. In der Praxis war ich noch nie an einer Rettungsaktion beteiligt gewesen. Ich wusste noch, dass es ein IAMSAR-Handbuch gibt (International Aeronautical and maritime Search and Rescue Manual), das alle Schiffe an Bord haben müssen und in dem unter anderem verschiedene Suchmuster aufgeführt sind, aber da hörte mein Praxiswissen dann auch schon auf. Umso neugieriger startete ich in diesen Lehrgang. Wenn ein Seenotfall bei der Rettungsleitstelle aufläuft (in deutschen Gewässern ist das das MRCC Bremen), schaut diese, welche Schiffe (oder Flugzeuge) sich in der Nähe befinden und bestimmt den OSC. Oft ist das der Kapitän der Einheit, die als erstes vor Ort sein kann. Es kann also jeden ganz unverhofft treffen. Und da prinzipiell jeder zur Hilfe in einem Seenotfall verpflichtet ist, kann man diese Rolle auch nicht ohne triftigen Grund ablehnen (und Unwissenheit darüber, was zu tun ist, zählt nicht als triftiger Grund). Als umso sinnvoller erachte ich diesen Lehrgang für alle Nautiker:innen, um für den Ernstfall gut gerüstet zu sein. Der OSC-Basic-Lehrgang, den ich besuchte, dauert vier Tage und wird von der DGzRS in ihrer Zentrale in Bremen durchgeführt. Darauf aufbauend gibt es auch noch einen Fortgeschrittenen-Lehrgang.
Am ersten Tag besprachen wir die rechtlichen Grundlagen, die Hintergründe, die Begriffe und die allgemeine Organisation des SAR-Dienstes. Am Zweiten Tag wurde es dann praktischer. Zuerst sprachen wir die einzelnen Suchmuster durch und daraufhin ging es in den hauseigenen Simulator, wo wir auf vier Simulator-Brücken die Manöver übten. Es gibt fünf grundlegende Suchmuster: 1. Track Line Search (Suche entlang der zuletzt bekannten Kurslinie des Verunglückten), 2. Expanding Square Search (eine von einem Punkt ausgehende größer werdende Spirale), 3.Creeping Line Search, 4. Sector Search, 5. Parallel Track Search. Einige der Suchmuster richten sich dabei nach der GPS-Position, bei anderen richtet man sich allein nach Kompasskurs, Geschwindigkeit und gefahrener Zeit, so dass man während dem Manöver genau wie die Verunglückten verdriftet. Welches der unterschiedlichen Suchmuster zum Einsatz kommt, hängt davon ab, was für eine Art von Suchgebiet vorgegeben ist (das Suchgebiet wird vom MRCC mitgeteilt) und wie viele Fahrzeuge sich an der Suche beteiligen. Ist z.B. nur ein einziger Punkt als letzte gemeldete Position eines Havaristen bekannt, dazu keine Information über Strömung, Wind, etc. und nur ein einziges Suchfahrzeug vor Ort, könnte die Expanding Square Search Sinn machen. Sind viele gleichartige Fahrzeuge an der Suche beteiligt und ein fest umrissenes Suchgebiet bekannt, kann man auf parallelen Kursen das Suchgebiet durchkämmen. Ein einmaliger gerader Suchkurs hingegen kann Sinn machen, wenn einzelne, große, wenig gut manövrierbare Schiffe beteiligt sind, auf deren Hilfe man wegen der großen Augenhöhe und guten Gesamtübersicht nicht verzichten möchte. In einer komplexen Einsatzlage mit vielen beteiligten Sucheinheiten können alle Suchmuster kombiniert werden.
Zunächst ging es bei den Übungen nur darum, die einzelnen Suchmuster durchzufahren. Allein das war schon nicht ganz einfach. Wir waren auf den Simulatorbrücken zu dritt. Einer musste per Hand steuern, einer die Zeiten stoppen, die Kurse und Wegstrecken ausrechnen und die Ruderkommandos geben, gleichzeitig musste der Funkverkehr geführt werden und der Gesamtüberblick durfte nicht verloren gehen. Dabei gab es Übungen für nur ein einzelnes Schiff und Übungen bei denen alle Schiffe zusammenarbeiten mussten. Am dritten und vierten Lehrgangstag wurde die Lage dann noch komplexer. Nun war die Grundlage einer jeden Übung ein echter Seenotfall mit echten Umwelt- und Verkehrs-Bedingungen. Nachdem die Seenotmeldung über Funk durchgegeben worden ist und sich die ersten Schiffe beim MRCC gemeldet hatten, wurde eines der Simulatorschiffe zum OSC erklärt. Dieses bekam dann vom MRCC die Koordinaten des Suchgebietes zugewiesen und musste allen anderen beteiligten Einheiten mitteilen, was sie tun sollten. Gleichzeitig musste der Kontakt zum MRCC gehalten werden, alle Suchergebnisse oder neuen Entwicklungen mitgeteilt werden. Und natürlich musste nebenbei auch noch alles dokumentiert werden. Je mehr Schiffe an der Suche beteiligt waren, desto unübersichtlicher wurde die Lage. Um nicht durcheinander zu kommen, konnte es hilfreich sein, mehrere Schiffe ähnlicher Größe und Geschwindigkeit in Gruppen zusammenzufassen und jede Gruppe z. B. von einer anderen Seite des Suchgebietes beginnen zu lassen. Für die einzelnen Gruppen konnten auch Sub-OSCs benannt werden, die sich dann nur um die Organisation ihrer Gruppe kümmern mussten. Der OSC konnte sich je nach Lage selbst mit an der Suche beteiligen oder aber auch aus der Suche ausklammern und sich nur um die Organisation kümmern. Bei einer der komplexen Übungen, bei denen das Schiff in dessen Simulatorbrücke ich mich befand, OSC war, war ich für den Funkverkehr abgeteilt. Und obwohl ich darin von meiner Arbeit auf dem Lotsenschiff sehr geübt bin, rauchte mir nachher richtig der Kopf und ich war total alle. Die einzelnen Übungen während des Lehrgangs gingen jeweils über ca. ein bis zwei Stunden. Wenn ich mir vorstelle, dass in Wirklichkeit einen Suche mehrere Tage oder Wochen andauern kann, lässt sich erahnen, wie anstrengend das für alle Beteiligten sein kann. Auch muss man bedenken, dass in der Realität nicht auf jedem Schiff so viel Personal zur Verfügung steht, dass die Brücke über einen längeren Zeitraum durchgehend mit mehreren Personen besetzt sein kann. Und alleine ohne Unterstützung von Personen im Hintergrund ist die Aufgabe des OSC nicht zu bewältigen.
Alles in allem war dieser Lehrgang für mich sehr lehrreich und informativ und intensiv. Ich habe einen Eindruck und einen Überblick bekommen, was es bedeutet, an einer SAR-Situation beteiligt zu sein und wenn man in die Lage gerät, selbst zum OSC ernannt zu werden. Ich kann diesen Lehrgang nur allen Nautiker:innen empfehlen. Umso besser, wenn man eine Reederei hat, die einem diesen Lehrgang bezahlt.
JG
