Mein erster Einsatz als nautische Wachoffizierin (2022)

Nachdem ich mein Nautikstudium mit anschließendem Master Maritime Management und die notwendigen STCW Kurse erfolgreich absolviert habe, ging es am 19. Mai 2022 endlich los: Der erste Einsatz als nautische Wachoffizierin auf einem Containerschiff, der Sofia Express, begann für mich im Suezkanal.
Gemeinsam mit anderen Seeleuten fuhr ich in Suez mit einem Shuttlebus zur Immigration und per Boot zu dem Schiff, auf dem wir anmusterten. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich zweite Offizierin oder eine Frau bin, jedenfalls durfte ich nicht wie die anderen Seeleute in der lauen Nacht an Deck des Bootes unter den Sternen sitzen, sondern sollte zum Steuermann in die Kajüte gehen, wo ich auf einer der beiden Pritschen Platz nahm, auf denen der Steuermann und sein Matrose offensichtlich schlafen. Der winzige Maschinenraum hatte seine Öffnung in der Kajüte, sodass es dort mächtig nach Diesel roch. Ich hätte viel lieber draußen gesessen, allerdings wollte ich nicht mit den Leuten arabischer Kultur anecken, sondern sicher zum Schiff gelangen ohne gleich zu Anfang für Probleme zu sorgen.
Nach einer etwa 20-minütigen Fahrt mit dem Boot näherten wir uns einer riesigen schwarzen Bordwand. Bei diesem Anblick wurde mir ganz anders: Nach all den Jahren des Lernens und einer umfassenden, jedoch weitestgehend theoretischen Ausbildung, wurde es jetzt ernst. Das Schiff war mehr als doppelt so lang wie der Tanker, auf dem ich in meinem Praxissemester gefahren bin. Nach einem Coronaschnelltest durfte ich meine Kammer beziehen und erstmal schlafen gehen, mittlerweile war es mitten in der Nacht.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen meldete ich mich in Uniform auf der Brücke. Zunächst ging ich die 8-12 Wache gemeinsam mit dem zweiten Offizier, den ich drei Wochen später ablösen sollte. Während der Revierfahrt durch den Suezkanal bestaunte ich das enge Fahrwasser, das von solchen Schiffsriesen in einer scheinbar endlosen Entenschlange dicht aneinander gereiht befahren wird. Der kleinste navigatorische Fehler von Lotse, Kapitän, Rudergänger oder ein technischer Defekt können - wie wir ja wissen – nicht nur die Schiffssicherheit beeinträchtigen, sondern auch weitreichende wirtschaftliche Folgen haben. Aber es ging alles glatt und schon am späten Nachmittag passierten wir Port Said und setzten unsere Reise nach Tanger (Marokko) fort.
Im Mittelmeer hatte ich genug Zeit, um mich in meine künftigen Aufgaben einzuarbeiten. Da dies für mich die erste Fahrt auf einem Containerschiff war und ich als Offizierin im Hafen den Lade- und Löschvorgang überwachen musste, hatte ich erst einmal zahlreiche Fragen zum Stauen und Laschen der Container. Abends habe ich dann durch das Cargo Securing Manual geblättert, um mir einen Überblick über die Sicherung der Container in den einzelnen Bays zu verschaffen und für meinen ersten Hafenanlauf gut gerüstet zu sein. Auswendig wissen musste ich die Laschmuster glücklicherweise nicht, es hingen Abbildungen in allen Bays. Diese erleichterten mir auch das Argumentieren mit den Stevedores, wenn die Container nicht richtig gelascht wurden.
In Tanger und Rotterdam bin ich mit dem zweiten Offizier gemeinsam Ladungswache gegangen, in London dann allein. Nach nur zwei Häfen Lade- und Löscherfahrung die Verantwortung für die Ladungswache zu übernehmen, empfand ich als Herausforderung. Mache ich alles richtig? Sehe ich alles, was ich sehen muss? Entgeht mir etwas Wichtiges? Wer die Ladungswache auf einem Containerschiff kennt, weiß, dass meist zu viele Dinge gleichzeitig passieren, als dass man überall ein Auge drauf haben könnte: Mehrere Kräne, Gefahrgutcontainer, bei der Containernummer, -kennzeichnung und -stellplatz kontrolliert werden müssen, Bays mit Reefern, die abgesteckt oder angeschlossen werden müssen, die Kontrolle der Leinen insbesondere in Tidehäfen, Techniker, die versuchen, einen Reefer zu reparieren, Müllabgabe, Ersatzteil- und Proviantlieferungen, der Agent mit Informationen über das Ablegen, der Chiefmate, der wissen möchte, wie viele Moves noch ausstehen usw. Da heißt es Priorisieren und das ist mit wenig Erfahrung eine echte Herausforderung. Mit der Zeit habe ich mich reingefunden: Als wir nach Hamburg wieder Tanger angelaufen haben und nach dem Suezkanal in Jeddah (Saudi Arabien) und Jebel Ali (Vereinigte Arabische Emirate) waren, konnte ich alle Aufgaben meistern.
Das hatte ich nicht zuletzt der großartigen Unterstützung meiner philippinischen Wachmänner zu verdanken. Ich hatte das Glück gleich zu Anfang eine verantwortungsbewusste und motivierte Deckscrew zu haben, die mich als Offizierin respektiert und mit mir wunderbar im Team gearbeitet hat. Den Respekt zu bekommen, obwohl ich viele Grundlagen erst lernen musste, ist nicht selbstverständlich. Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt und kommuniziert, dass dies mein erster Einsatz als Offizierin und mein erstes Mal auf einem Containerschiff ist und ich ihre Unterstützung brauche, aber natürlich am Ende verantwortlich und daher der Boss bin. Das würde ich so auch immer wieder machen: Schwächen offen darlegen und um Unterstützung bitten, ohne sich als Führungspersönlichkeit unterzuordnen.
Die ersten Drills als Sicherheitsoffizierin liefen abgesehen vom Rettungsbootdrill, der etwas wackelig war, gut. Hierbei hätte ich mir im Voraus mehr Briefing gewünscht. Als NOA hatte ich kaum an Rettungsbootdrills teilgenommen und jetzt war ich gleich Boat Squad Leader.
Auch das erste Anlegemanöver brachte eine ungeahnte Herausforderung mit sich. Wir wollten zunächst fünf Achterleinen herausgeben. Aufgrund einer lokalen Vorschrift des Hafen konnten wir jedoch nur maximal vier Leinen auf einen Bollard legen, was ich allerdings nicht wusste. Bei der letzten Leine begannen dann die Probleme. Da der nächste freie Bollard von dem achteraus liegenden Schiff belegt war, entschied ich mich nach Rücksprache mit dem Kapitän, eine kurze Querleine zu legen. Leider waren die Festmacher in Jeddah (Saudi Arabien) nicht kooperativ, so dass der Chiefmate in Uniform von der Manöverstation runterwinken musste, damit die Leine letztendlich auf den Bollard gelegt wurde. Mit dem Tanker in meinem Praxissemester lagen wir immer allein an der Pier. Daher hatte ich das Problem mit einer begrenzten Bollardanzahl beim Quereinparken zwischen zwei anderen Schiffen nicht bedacht.
Aus diesen Erlebnissen nehme ich mit, dass ich später, wenn ich einmal junge Offizier:innen an Bord habe, meine Erfahrungen in Form von Briefings weitergebe, damit sie bei ihrem ersten Drill im Rettungsboot oder ihrem ersten Einsatz auf Manöverstation nicht ähnlich wie ich auflaufen. Zwar hat mir das keiner an Bord vorgeworfen, sondern alle hatten Verständnis, dass am Anfang noch nicht alles glatt läuft, aber für mich selbst waren diese Situationen natürlich ärgerlich.
Auf die Seewachen habe ich mich durch das Simulatortraining an der Hochschule gut vorbereitet gefühlt. Nur Anrufe über Funk von Schiffen, die zwar ein CPA von 0 sm, allerdings ein TCPA von 50 min hatten, haben mich anfangs etwas verwirrt, da musste ich erstmal suchen, wer mich da überhaupt anfunkt. Auch die Bitte über Funk, meinen Kurs zu ändern, ohne dass ich ausweichpflichtig gewesen wäre, haben mich anfangs ein bisschen aus dem Konzept gebracht. Mittlerweile bleibe ich ruhig und versichere meinem Gegenüber, dass ich mich an die Kollisionsverhütungsregeln halte. Oder eben, dass man sich bei einem TCPA von 50 min keine Sorgen zu machen braucht.
Jeden Nachmittag nach der Seewache war ich an Deck und habe mich um die Brandschutz- und Sicherheitseinrichtung gekümmert, indem ich die Checklisten abgearbeitet und mich bei nicht funktionierender Ausstattung um die Reparatur gekümmert habe. Bis auf einen Zwischenfall mit Meinungsverschiedenheiten über das Austauschen der Dichtungen von Feuerlöschschläuchen hatte ich bei meiner Arbeit mit meinen Vorgesetzen keine Probleme. An dieser Stelle habe ich mir bei den Frauen aus dem Verband Rat geholt. Für diese schnelle und hilfreiche Unterstützung – sowohl fachlich als auch sozial – bin ich sehr dankbar.
Zusätzlich zu meinen Aufgaben als Offizierin habe ich die Betreuung der beiden Schiffsmechaniker und später die des NOA übernommen. So habe ich auf der Brückenwache mit ihnen navigiert und ihnen die Brückenausrüstungen erklärt. Später an Deck hatte ich dann helfende Hände bei meinen Instandhaltungsarbeiten. Im Hafen konnte ich mein neu erworbenes Ladungswissen gleich weitergeben und hatte Unterstützung bei der Ladungswache. Am Wochenende habe ich Themen für deren Wochenberichte vorgegeben und diese korrigiert.
Mit den Wochen habe ich einen guten Draht zur Deckscrew gefunden. Mein Wachmann erzählte mir viel aus seinem Privatleben und meinte zu mir, man bräuchte einen Psychologen wie mich an Bord. Der Bootsmann unterstützte mich an Deck, wenn ich Hilfe bei den Instandhaltungsarbeiten des Brandschutz- oder Sicherheitssystems brauchte.
Im Mittelmeer erlebte ich mein erstes Barbecue an Deck. Wir saßen an Tischen unter Lampions, haben das üppige Essen genossen und Karaoke gesungen, meine Leidenschaft.
Nach ein paar Wochen habe ich im Gym mit Kraftsport angefangen und ließ mich dazu von einem Matrosen anleiten. Keine schlechte Idee, nicht nur aus sportlicher, sondern auch sozialer Sicht, da ich so in lockerer Freizeitatmosphäre erfahren habe, wie es den Jungs an Deck geht und wo Konflikte aufgetreten sind. Denn leider musste ich erfahren, dass es von der Schiffsführung z.T. nicht für nötig erachtet wurde, mich in gewisse Vorgänge einzuweihen. Sich diesen Kontakt zu sichern, erscheint mir daher als unabdinglich, um einen guten Job machen zu können. Durch die Fülle der Aufgaben und insbesondere durch meine mangelnde Erfahrung war ich auf die Deckscrew angewiesen.
Nach Jebel Ali ging es nach Mundra (Indien). Die Hitze ließ nach und wir hatten Schlechtwetter. Es ist wirklich beachtlich wie unterschiedlich sich die verschiedenen Schiffstypen im Seegang verhalten. Hier konnte ich gut beobachten, wie sich das ganze Schiff wie eine Schlange durch die Wellen wand, sehr faszinierend. In Mundra angekommen, erwartete uns tagelanger Dauerregen. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Regen gesehen. Das Wasser lief direkt über die Bordwand, die Drainagen haben nicht ausgereicht.
Als Frau habe ich im Suezkanal, Tanger, Jeddah und Jebel Ali eher die Erfahrung gemacht, weitestgehend ignoriert zu werden. So musste auf Manöverstation wie oben beschrieben der Chiefmate in Uniform kommen, damit die Leine auf den von mir gewünschten Bollard gelegt wurde. Andere Lotsen und Hafenarbeiter waren aber auch überaus freundlich. In Indien dagegen hatte ich an Deck immer eine Schar Stevedores um mich herum, die mich fasziniert angeglotzt haben. Nachdem ich in London für einen nicht plakatierten Container von einem Hafenarbeiter gleich mehrere Gefahrgutaufkleber bekommen habe, wurde das damit abgetan, dass ich ja eine Frau sei, anstatt meine kommunikativen Fähigkeiten zu loben. Auch wurde mir gesagt, dass ich sicherlich bald befördert würde, da ich eine Frau sei. Solche Aussagen machen mich innerlich wütend. Doch diese Diskriminierung habe ich runtergeschluckt und geantwortet, dass ich natürlich hoffe, wegen meiner Fähigkeiten und Kompetenz befördert zu werden und nicht aufgrund meines Geschlechts. Verbissenheit bringt da nichts, hier muss man aus meiner Sicht cool und menschlich bleiben.
Nach Mundra ging es wieder nach Jeddah und zurück durch den Suezkanal. Bei der nächsten Runde in Jebel Ali bin ich dann ausgestiegen. Alles in allem bin ich begeistert von meinem Job und sehr zufrieden mit meinem Arbeitgeber. So freue ich mich schon auf meinen nächsten Einsatz.
SZ