Über die Ausbildung und Einstellung von Seeleuten (2001)
In der Europäischen Union fehlten im Jahr 2001 rund 13.000 Offiziere, bis 2006 wird dieses Defizit auf 36.000 gestiegen sein. Warum das so ist und wie das geändert werden kann, damit beschäftigt sich eine Studie der Europäischen Kommission vom April 2001. Diese Studie findet große Beachtung. Denn sie beschränkt sich nicht auf eine zahlenmäßige Bestandsaufnahme wie z.B. die Studie der BIMCO (Baltic and International Maritime Council) / ISF (International Shipping Federation) von April 2000 "Manpower Update - The world-wide Demand for and Supply from Seafarers", sondern sie beschäftigt sich auch ausführlich mit den Ursachen, bezieht das soziale Umfeld ein und schlägt Lösungsansätze vor. Bereits 1996 hatte die Europäische Kommission mit ihrer Mitteilung "Auf dem Wege zu einer neuen Seeverkehrsstrategie" eine sehr treffende Analyse der Situation in der europäischen Seeschifffahrt vorgelegt, die das gleiche Schicksal viele andere Mitteilungen dieses Gremiums hatte, nämlich das der Nichtbeachtung. Die neue Studie befasst sich auch mit der Beschäftigung von Frauen auf Schiffen. Ich zitiere diese Passagen in vollem Umfang.
"Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Ausbildung und Einstellung von Seeleuten KOM (2001) 188 endgültig: 3.1.2 Informationskampagnen und ähnliche beschäftigungsfördernde Maßnahmen.
Eine der allerdinglichsten Maßnahmen, mit denen die Seefahrt für junge Menschen attraktiv gemacht werden kann, ist ein Aufpolieren des Images der Seeschifffahrt. Hierzu stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, von denen die Kommission koordinierte Informationskampagnen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene empfiehlt. Derartige Veranstaltungen fanden bereits in mehreren Mitgliedsstaaten statt und waren insofern erfolgreich, als sie die positiven Seiten der Berufe in der Seefahrt aufzeigten und den jungen Menschen Fakten über Chancen und Konsequenzen dieser Berufe vermittelten. Da einer der positiven Aspekte einer beruflichen Tätigkeit in der Seefahrt in den breit gefächerten Beschäftigungsmöglichkeiten für Seeleute in zahlreichen der Seefahrt verwandten Sektoren zu sehen ist, bieten Informationskampagnen eine gute Möglichkeit, EU-Seeleuten Karrierechancen aufzuzeigen, vom ersten Job an Bord bis hin zu möglichen Tätigkeiten an Land nach geraumer Zeit auf See. Darüber hinaus sind Informationskampagnen ein gutes Mittel, um wirklich geeignete junge Menschen an die Seeschifffahrt heranzuführen und so die Zahl der Auszubildenden zu senken, die ihre Ausbildung abbrechen.
Schließlich böten die in den Mitgliedsstaaten durchgeführten und auf ihre besonderen Gegebenheiten zugeschnittenen Kampagnen auch eine gute Möglichkeit, um verstärkt Frauen für die Berufe in der Seefahrt in der EU zu interessieren. Die Seefahrt ist traditionell eine Domäne der Männer und es trifft zu, dass sich Familie und Berufstätigkeit auf See für Frauen schwerer miteinander vereinbaren lassen als für Männer. Es gibt allerdings einige Tätigkeiten, die sich für Frauen relativ gut eignen, zum Beispiel die Arbeit an Bord von Linienschiffen. Die Sozialpartner sollten sich intensiv um eine Öffnung der Berufe in der Schifffahrt für den für Frauen attraktiven Berufen. Hierzu bieten die Informationskampagnen eine gute Möglichkeit. Ferner sollten sich die Sozialpartner:innen mit dem nicht hinnehmbaren Problem der Diskriminierung vieler an Bord von EU-Schiffen beschäftigter Frauen und der Vorurteile ihnen gegenüber befassen.
Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung von Frauen auf Schiffen würden auch zum Plan der IMO zur Integration der Frauen in die Seeschifffahrt und zur STCW-Empfehlung passen, nach der dem gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zu allen Bereichen der Seeschifffahrt besondere Aufmerksamkeit zu widmen sei, die Rolle der Frauen im Seemannsberuf zu unterstreichen sei und Frauen zunehmend in die Ausbildung einbezogen werden und auf allen Ebenen der Branche vertreten sein sollten. Jegliche Maßnahme zur Förderung der Beschäftigung von Frauen an Bord von EU-Schiffen und zur Bekämpfung von Diskriminierung und Vorurteilen würde sich auch nahtlos in die allgemeine Politik der Gleichbehandlung von Männern und Frauen einfügen. Diesbezüglich empfiehlt die Kommission den Mitgliedsstaaten und den Sozialpartner:innen, dafür zu sorgen, dass die bestehenden Rechtsvorschriften im Bereich Gleichstellung ordnungsgemäß angewandt werden und der kürzlich vorgelegte Vorschlag zur Bekämpfung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz rasch verabschiedet wird."
Mit dieser Passage benennt die Europäische Kommission zwar einige der Probleme von Frauen, die zur See fahren, doch sie gibt keine ausreichenden Lösungsansätze. Hier könnte, so finde ich, die Arbeit des Verbandes Frauen zur See, die Europäische Kommission weiterbringen. Mit den beiden Faltblättern "Was erwartet mich an Bord" und "Mobbing" hat der Verband einen ganz praktischen Beitrag geleistet, Frauen den Einstieg und das Zurechtkommen an Bord zu erleichtern. Für noch entscheidender halte ich aber die Diskussionen, die auf den verschiedenen Workshops zum Thema Frauen an Bord und Familie stattgefunden haben. Die Kommission bietet als Lösung, um Familie und Beruf zu verbinden, die Tätigkeit auf Linienfährschiffen an. Auf Workshops haben wir diskutiert, dass das nicht für alle die Lösung sein kann. Nicht alle wollen auf Fährschiffen fahren, sondern ziehen die große Fahrt vor. Während der Ausbildungszeiten kommt ein solches Modell sowieso nicht in Frage. Wir haben auf den Workshops ja über ganz andere Alternativen diskutiert, die über ein Frauenschiff bis zu komplexen Wohngemeinschaften/Wohndörfern mit Kinderbetreuung reichten. Es ist bedauerlich, dass sich in der Studie der Kommission und in den Lösungsvorschlägen nur ganz konventionelle Vorschläge finden. Manchmal braucht man keine praktischen Vorschläge, sondern Visionen.
Auch interessant:
Eine vor kurzem bei ihren weiblichen Mitgliedern durchgeführte Erhebung der NUMAST (National Union Of Marine Aviation und Shipping Transport Officers) ergab, dass 76 % der Befragten auf See schon unter sexueller Belästigung und 47 % unter Diskriminierung wegen ihres Geschlechts zu leiden gehabt hätten.
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG vorn. g. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (KOM/2000/334 endg.).
CH