Ich bin Inka. (2016)

Ahoi liebe Seefrauen,

mein Name ist Inka Marie Koßmann. Ich komme aus und lebe in Bremen und war nur kurzzeitig, des Studiums wegen, für einige Jahre in Leer (Ostfriesland).

Ich kann euch gar nicht so genau sagen, was mich bewegt hat, zur See fahren zu wollen. Da kamen wohl mehrere Faktoren zusammen. Letztendlich bin ich noch nie der Masse hinterher gelaufen und meinen Arbeitsalltag nur am Computer zu verbringen, konnte ich mir auch nicht vorstellen. Ich wollte irgendwie in die Welt hinaus, auf Abenteuersuche. Aber kein Work and Travel, da waren mir die Aussichten zu unsicher. Man schlägt sich irgendwo herum, bekommt vielleicht nur einen Job und muss letztendlich mit wenig Geld auskommen. Wenn man sich also was leisten möchte, ist man nur am Arbeiten. Und wo bleibt dann noch genügend Zeit zum Reisen? Das war mir zu bunt.

Zu dieser Zeit (ich denke, da war ich in der 10. Klasse) habe ich mit meiner Familie immer im Fernsehen das Traumschiff geschaut. Meine Großeltern waren viel auf Kreuzfahrern unterwegs und haben mit ihren zahlreichen Urlaubsbildern mein Fernweh entfacht. Aber Stewardess kam nicht in Frage - nicht für meinen Vater. „Du musst der Chef sein!“, also alles klar, ich werde Kapitän. Eine schöne Vorstellung. Aber etwas in Sorge war ich schon, denn vom Traumschiff wusste ich schließlich, dass der Kapitän bei den Eistorten-Abenden eine Rede über die Gäste halten muss, in der er von Erlebnissen der Reise berichtet. Aber bekommt man das als Kapitän überhaupt alles mit? Wer da mit wem anbandelt oder wer beinahe nicht heil zurück an Bord gekommen wäre? Erst einmal ließ ich das so stehen.

Einige Zeit später traf ich auf einen guten Freund meiner Eltern. Einen alten Seebären. Der konnte Geschichten erzählen… vom Feinsten! Alle Kindergeschichten, die sich mein Vater während meiner Kindheit mühselig ausgedacht hatte, konnten gegen die Piratengeschichten im Amazonas, Frauengeschichten in der ganzen Welt und geheimen Deals zwischen Stevedors und Seeleuten einpacken. Nun hatte mich auch noch das letzte bisschen Reisefieber gepackt.

Aber nun, was jetzt? Wie wird man denn Kapitän? Einfach so? Ne, natürlich nicht. In der Zeitung las ich vom Tag der offenen Tür im Schiffssimulator der Hochschule Bremen. Ich war die einzig wirkliche Interessierte zwischen älteren Herrschaften, die sich mal den Simulator anschauen wollten. Ganz allein bin ich unter der Leitung eines Dozenten, in den Köhlbrandhafen eingefahren. Und das trotz Wettervorführungen der Dozenten. Ich war so stolz auf mich, dass ich mich gleich mit dem Dekan austauschte, was ich anstellen musste, um zur See fahren zu können. Der empfahl mir eine Bewerbung auf ein Praktikum über den VDR. Das nahm ich dankend an und fuhr im Sommer 2009 zehn Tage auf der Hansa India von Leonhardt & Blumberg. Es war die bis zu diesem Zeitpunkt tollste und aufregendste Zeit meines Lebens. Und zehn Tage reichten aus, um mich mit der Seefahrt zu infizieren.

Während des Geschichtskurses in der Schule schrieb ich eine Ausarbeitung über den Norddeutschen Lloyd (Seefahrt hatte nun überall Priorität!) mit dem imposanten Namen „Wie der Phönix aus der Asche“. Die Geschichte der Reederei und die Tatsache, dass sie ihren Sitz in Bremen hatte, leiteten mich sehr. Also war für mich schnell klar, dass ich ihr folgen und bei Hapag Lloyd arbeiten möchte. Was anderes kam gar nicht in die Tüte. Wie bewirbt man sich denn bei einer so großen Reederei als Mädchen mit überhaupt keiner technischen Erfahrung? Meine Mutter war zu jener Zeit auch ziemlich skeptisch, denn Deutsch und Kunst Leistungskurse sind nicht unbedingt Voraussetzungen für ein Nautikstudium. Also machte ich auch noch ein kurzes Praktikum in einer Autowerkstatt.

Heute bin ich dort, wo ich mich in der Schulzeit hingewünscht habe. Ich bin Zweite Offizierin bei Hapag Lloyd. Sie haben mich genommen! Nach der Schulzeit habe ich erst eine Ausbildung als Nautische Offiziersassistentin gemacht. Von unserer anfangs 15-köpfigen Gruppe sind leider nur fünf wirklich in der Seefahrt an Bord geblieben. Trotzdem konnten wir einen guten Schnitt verzeichnen: Wir waren auch fünf Mädels. Und von denen fahren noch zwei (unter anderem ich), eine ist nun
Schifffahrtskauffrau und eine andere hat erst umgesattelt zur Schiffsmechanikerin, ist danach aber leider in eine ganz andere Richtung gegangen. Die fünfte hat ihre große Liebe an Bord getroffen und hat danach für sich entschieden, dass Seefahrt nicht das Richtige für sie ist. Nun ist sie mit einem Filipino verheiratet und super glücklich.

Für mein Studium bin ich nach Leer gezogen. Ich kannte dort schon einige Studenten und man geht ja ungern dorthin, wo man niemanden kennt, zumindest ich. Trotzdem fand ich es eine gute Entscheidung. Jede Hochschule hat so ihre Vor- und Nachteile, das nimmt sich meiner Meinung nach nichts. Von Zuhause ausgezogen habe ich mir dann endlich meinen Kindheitstraum von einem eigenen Hund erfüllt. Jaja... nicht so einfach. Ein Hund und Seefahrt. Ich hatte sehr viel Glück, von meiner Familie, Freunden und selbst der Hochschule unterstützt worden zu sein. So durfte ich den Hund in eigentlich fast jede Vorlesung mitnehmen, der Hausmeister bot mir an, ihn als Schulwachhund auszugeben sollte sich jemand beschweren. Und beinahe hätte er auch sein eigenes Patent bekommen, hat es aber versäumt die Prüfung in Systemüberwachung abzulegen. Jeder an der Hochschule kannte meinen Oskar. Und komischerweise kannte ihn auch jeder mit seinem Namen. Ich hingegen, war/bin nur die am Ende der Leine. Mir und einigen Kommiliton:innen wurde die Wiedereröffnung des Partykellers der Hochschule ans Herz gelegt. Dort hab ich bis beinah zum Ende meiner Studienzeit viel organisiert und bin stolz darauf, dass er immer noch geöffnet ist. Ich hoffe, dass er irgendwann mal zu so einer Berühmtheit wie der Warnemünder Sumpf wird.

Nun, da ich wieder zur See fahre, verbringt Oskar die freien Monate bei meiner Mutter. Obwohl sie am Anfang so gegen ihn gewettert hat, konnte sie dem niedlichen Welpenwesen nicht widerstehen. Seit 2015 bin ich nun mit meinem Studium durch und fahre als 2. Offizierin. Obwohl ich sagen muss, dass die erste Zeit ganz schön hart war. Eines der Dinge, die einem im Studium nämlich keiner erzählt ist: Wie WERD ich Offizier. Man liest sich so viel Wissen an, aber wie man sich tatsächlich als Offizier verhält, wie man an sich arbeitet, wie man mit Vorgesetzten und Untergebenen umgeht, wie man seine ungewollte Unsicherheit ablegt, das lehrt einem niemand. So hat es bei mir nun beinah zehn Monate gedauert, bis ich mit Überzeugung sagen kann: ich bin Offizierin - und das nicht nur auf dem Papier.

Ich weiß, dass unsere Mitglieder total spannende Lebensgeschichten haben, die wir gegenseitig austauschen und voneinander lernen können. Denn ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen, dass es sehr gut tut, von erfahrenen Frauen zu hören, die den gleichen Weg schon einmal gegangen sind oder die einfach was anderes gemacht haben, nachdem sie sich für die Seefahrt entschieden haben. Und damit meine ich nicht nur die Nautiker:innen, sondern auch die vielen, oftmals übersehenen Techniker:innen, Stewardessen, Fischer:innen und Funker:innen.

IK

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