In die Bilge oder auf den Turm? (2013)
Maschine oder Brücke, diese Frage stellt sich zu Beginn seiner Seefahrtskarriere. Als ich meine Ausbildung zur Schiffsmechanikerin begonnen habe, war für mich die Antwort klar: Ich möchte nach der Ausbildung Nautik studieren und auf die Brücke.
Inzwischen war ich als Azubi auf See (zuerst auf einem Bulker, dann auf einer Fähre und zuletzt auf einem Containerschiff) und habe die Gelegenheit gehabt, in beiden Bereichen Erfahrung zu sammeln, und bin mir da längst nicht mehr so sicher. Meine Aufgaben in der Maschine waren spannend und je mehr ich über all die kleinen schlauen Detaillösungen an den verschiedenen Aggregaten lerne, desto mehr fasziniert mich die Technik.
Für alle, die sich diese Wahl ebenfalls nicht ganz einfach machen, habe ich mal meine ganz persönlichen, aus meiner Erfahrung an Bord erwachsenen Gründe, die für oder gegen die beiden Bereiche sprechen würden, aufgelistet. Ich erhebe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Meine Beschreibung der beiden Bereiche beruht auf meiner derzeitigen Perspektive als Azubi, und beruht auf dem, was ich eben davon mitbekomme. Aber Vorsicht vor dem Lesen, vielleicht fällt euch die Wahl hinterher nur noch schwerer!
Pro Brücke
Man hat den totalen Durchblick. Man weiß, wo man ist, wo man hinfährt, wie das Wetter wird, was sonst noch so in der Nähe ist (Schiffe, Inseln, Delfine, Wale...), und vor allem beim Ein- und Auslaufen bekommt man von den Ländern, die man bereist auch etwas zu sehen.
Ich persönlich liebe auch die Arbeit mit den Seekarten. Ich könnte stundenlang Karten korrigieren oder Routen planen. Wenn's nach mir geht, werden Papierseekarten so bald nicht abgeschafft...
Man hat die Möglichkeit irgendwann Kapitän zu werden und in hohem Maße über die Geschicke des Schiffes und der Mannschaft zu entscheiden. Wenn man selbst Kapitän ist, ist man natürlich nicht von den Entscheidungen und vom Organisationstalent des Kapitäns abhängig, auch bei so für das persönliche Wohlgefühl wichtigen Dingen wie Landgang oder Verpflegung.
Man macht sich nicht die Finger schmutzig (das ist ja vielleicht für den ein oder anderen auch wichtig...), und der Arbeitsplatz ist deutlich gesünder, als der in der Maschine, wo man mit diversen weniger gesunden Flüssigkeiten und Dämpfen zu tun hat. Man kann jederzeit an die frische Seeluft gehen und man hat nachts auf See einen gigantischen Sternenhimmel zu bewundern.
Contra Brücke
Vor meiner Ausbildung bin ich eine Weile als Bootsmann und Wachleiter auf Segelschiffen gefahren. Das Navigieren dort war eine Herausforderung. Man musste jederzeit den Wind, die Abdrift, eventuell drohende Wetterfronten und natürlich einen sehr menschlichen Rudergänger im Auge behalten, den Kurs korrigieren und die Besegelung den herrschenden Verhältnissen anpassen. Gefahren wurde nach Wind oder nach Magnetkompass. Das Radar wurde nur bei dichtem Nebel benutzt, die elektronische Seekarte wurde praktisch nicht benutzt und das AIS auch nur am Rande. Andere Schiffe wurden per Peildiopter beobachtet und selbst zur Ermittlung der Position wurde gelegentlich noch der Sextant bemüht. Nach diesen Vorerfahrungen geht es auf der Brücke eines Frachtschiffes geradezu langweilig zu. Computer, Radar, ECDIS usw. erleichtern einem das Navigieren bis es eigentlich keine Herausforderung mehr ist. Selbst das Rudergehen wird durch Rate-of-Turn-Anzeiger und einen Kreiselkompass, der selbst kleinste Kursabweichungen deutlich anzeigt, erheblich erleichtert. Anstelle der Navigation ist die Herausforderung heute der Papierkram. Vor allem die Kapitäne habe ich vor allem am Schreibtisch sitzend erlebt. Im Hafen müssen sie mit teilweise korrupten Behördenmenschen und Kontrolleuren verhandeln, und selbst bei völliger Übermüdung stets freundlich für jeden Repräsentanten für irgendwen oder irgendwas da sein, egal ob der Betreffende wichtig ist oder sich nur dafür hält.
Pro Maschine
Man arbeitet mehr praktisch. Selbst als Ingenieur darf man sich noch gelegentlich von seinem Bildschirm im Maschinenkontrollraum wegbewegen und auch mal zum Schraubenschlüssel greifen. Während die Nautiker auf der Brücke das Schiff fahren können, so lange alles funktioniert, weiß der Maschinist auch, warum das Schiff fährt, wie es funktioniert und was zu tun ist, wenn es das mal nicht tut. Ich finde es immer sehr befriedigend, beispielsweise eine Pumpe repariert oder auch nur zu Wartungszwecken auseinander und wieder zusammengebaut zu haben. Funktioniert sie dann wieder, weiß man, dass man seine Arbeit gut gemacht hat. Das Zusammenspiel der verschiedenen Teile und Baugruppen an der Maschine fasziniert mich jedesmal aufs Neue, wenn ich wieder an Instandsetzungsarbeiten an irgendeinem Teil der Maschine mitmachen darf, das ich noch nicht kenne. Manchmal steht man auch vor Problemen, für die es keine Standardlösung gibt, und für die man sich selbst etwas einfallen lassen muss oder erst ein passendes Werkzeug bauen muss. Da habe ich dann die Herausforderung, die mir auf der Brücke eher fehlt.
Ein anderer Aspekt ist, dass die Arbeit in der Maschine oft Teamarbeit ist, während man auf der Brücke meist alleine ist.
Contra Maschine
Man ist halt im Keller und sieht nichts...
Und natürlich arbeitet man den ganzen Tag bei ca. 50°C, schwitzt wie ein Schwein und hat ständig schwarze Fingernägel und nicht selten Brandblasen, weil man sich beim Schweißen oder beim Arbeiten an heißen Dampfleitungen verbrannt hat. Körperlich ist es eindeutig die härtere Arbeit. Im Moment macht mir das nichts aus, aber man wird ja nicht jünger...
Na gut, irgendwann ist man ja vielleicht Chief, dann hält man sich doch mehr im meist klimatisierten Maschinenkontrollraum auf. Dann sitzt man allerdings auch wieder viel am Schreibtisch.
Fazit
Also ich habe mich noch nicht wirklich entschieden. Dass der Frauenanteil in der Maschine noch geringer ist, als auf der Brücke, spornt mich eigentlich auch eher an, und das Argument eines Kollegen, dass „Frau Kapitän“ deutlich besser klingt, als „Frau Chief“ ist natürlich auch kein echter Grund. Da ich in der Freizeit immer noch gerne Großsegler segle, ist für mich natürlich auch ein Aspekt, dass man mit einem nautischen Patent auch Segelschiffe fahren darf – und auf denen fahre ich definitiv lieber an Deck als in der Maschine.
Prinzipiell kann ich nur alle, die in dieser Frage zögern, ermutigen, den etwas längeren Weg über die Schiffsmechanikerausbildung zu gehen, denn die ermöglicht einem einen guten Einblick in beide Bereiche.
PH
Kommentar
Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich obige Argumente genauso bestätigen.
Auch ich war vor Beginn meiner Ausbildung überzeugt, als Nautikerin auf den Turm zu wollen. Und das mit möglichst kurzem Ausbildungsweg, sprich dem Praxissemestermodell. Während eines Schüler-Praktikums habe ich dann jedoch festgestellt, dass der technische und handwerkliche Bereich an Bord auch sehr interessant ist und daraufhin zunächst die Ausbildung zum Schiffsmechaniker gemacht. Nach der Ausbildung habe ich dann den Spagat zwischen Brücke und Maschine für mich so gelöst, dass ich zusätzlich zu meinem nautischen Patent noch das kleine Maschinenpatent (C-750 kW) gemacht habe.
Zu Anfang bin ich dann auf kleinen Schiffen gefahren, wo ich tatsächlich neben meinem Job als Steuerfrau auch in der Maschine eingesetzt war. Das war sehr interessant, für den gesamten Schiffsbetrieb zuständig zu sein, aber auch sehr anstrengend. Mittlerweile ist das aber immer weniger geworden und ich vermisse während meiner Arbeit den technischen Bereich.
Nichtsdestotrotz ist es aber natürlich auch als reiner Nautiker von Vorteil, wenn man Ahnung von der Maschine und Verständnis für die Bilgenkrebse und Ölfüße hat.
JG